Theater

Ein irrer bunter Abend

Taucht der Name Susanne Lietzow als Kopf des Stabs einer Schauspielproduktion auf, umgeben von den steten Wegbegleitern Aurel Lenfert (Bühnenbild) und Gilbert Handler (Musik), stimmt mich das immer schon glücklich, weil ich weiß, dass sich auf der Bühne etwas sehr besonders entfalten wird. Hier, bei ihr, darf Theater ganz Theater, darf Schauspiel – Betonung auf „.-spiel“ – sein: sinnlich, verspielt, verrückt, tobend, frei. Ich liebe das. Wunderbarerweise rückt man Susanne Lietzow mit Team auch immer wieder am Landestheater Linz (Oberösterreich) einen Inszenierungsplatz in der Saison ein. Möge das so bleiben! In ihrer Regie sah ich hier Schnitzlers „Anatol“, Horváths „Kasimir und Karoline“ oder Schillers „Maria Stuart“. Diese drei Inszenierungen darf ich zu den wirklich bereichernden Interpretationen mir persönlich wichtiger Dramen zählen.

Jetzt also „Pension Schöller“, etwas vom Lustspielgenre her schon Verstaubtes aus dem späten 19. Jahrhundert, gründlich durchgeputzt und in der Neufassung der Regisseurin als „bunter Abend“ untertitelt: Als solcher kommt er von der ersten Minute an herüber, weil sich die Ästhetik, also Bühne und Kostüme (großes Kompliment an Jasna Bosnjak), die Knallfarbenpracht und auch die Biederkeit der Beige-bis-Braun-Palette der siebziger Jahre ausgesucht hat.

In der Berliner Kneipe der „wilden Hilde“ (Horst Heiss, irgendwie nach Vorbild einer Amy Winehouse auf hohen Hacken auf mindestens zwei Meter Länge gezogen) versammelt sich das Personal des Lustspiels. Der Veteran im Rollstuhl kippt die Klaren, Eugen Schöller memoriert noch stumm und darum sprachfehlerfrei mit gestischer Untermalung die Texte seiner Klassiker für die Schauspie-„n“-er-Karriere. Schriftstellerin Josephine Zillertal forscht im Milieu. Und ich will erwähnen, wie prächtig eine Institution des Landestheaters Linz der vergangenen Jahrzehnte, zuerst Billeteur im ehemaligen Kinder- und Jugendtheater, dann Statist in vielen Produktionen, hier eine kleine feine Charakterstudie eines an den Tresen der Kneipe angeschwemmten Rentners spielt: ein Bravo für Joachim Wernhart!

Der Plot ist in zwei Sätzen zusammengefasst: Philipp Klapproth, Unternehmer, will von seinem Neffen Alfred eine echte Irrenanstalt gezeigt bekommen, belohnt wird das mit Investment. Alfred wählt für die Neugier des Onkels die exzentrische Kommune, wie sie in der Pension Schöller Quartier bezogen hat. Das namengebende Ehepaar für die Unterkunft mit Wellnessbereich (an der Saunatür heißt es: „Aufguss nur vom Chef“), beide ehemals dem Turniertanz zugetan, steckt in Geldnöten und tanzt sich diese Sorgen mit dem Pachanga, einen lateinamerikanischen Tanz aus den Sechzigern, weg: Er, Leopold (Klaus Müller-Beck), in einem Hosenanzug à la Elvis, interessant körperbetont, Katharina Hoffmann spielt sowohl seine Gattin Amalia im Tanz- und erotischen Fieber zum Voyeur des Irren, Herrn Klapproth, dessen Schwester (und Haushälterin) Ida sie, in Doppelbesetzung, als biedere Kehrseite des Frauenbilds vor mehr als fünfzig Jahren gibt. Töchterchen Klara schmollt, bis Alfred die Hormonexplosion in ihnen beiden auslöst.

Es wird outriert, mit allem, was die Zeichensprache am Theater hergibt, Show-Element inklusive, da darf dann der Veteran im Rollstuhl mit sehr deutlichem Scheitel und, Gottlob, doch etwas breiteren Schnurrbart im Refrain mitsingend, den Unterkiefer fallen lassen und wieder schließen (ganz köstlich: Helmuth Häusler). Breite Spiellust zu einem für die siebziger Jahre natürlich logischen Postulat der „freien Liebe“ macht den Dreiakter, in dem viel ganz formalisiert übertrieben gelacht wird, zu einer Revue, in deren Welt man hineinfällt, auch wenn diese schlussendlich zerfällt.

Christian Taubenheim spielt den Philipp Klapproth, er könnte auch Magistratsbeamter sein, entsprungen der in Österreich Kultstatus genießenden Serie „MA2412“. Dieser wandlungsfähige Ausnahmeschauspieler steht an der Spitze eines Ensembles, das sich sehr zur Freude aller im Saal austobt, darunter Theresa Palfi als Schriftstellerin Josephine Zillertal, Daniel Klausner als Alfred, Cecilia Pérez als Klara, Alexander Julian Meile als Globetrotter Professor Bernhardy, Jakob Kajetan Hofbauer als Franzi Klapproth. Und Markus Ransmayr als sprachfehlerbehafteter Neffe Eugen: Der wittert zwischen erstem und zweitem Akt vor dem Vorhang seine große Chance, das gesamte Schauspielhaus („hallo Ninz!“) ganz für sich allein zu haben, nutzt das auch, wenngleich gegen ein wenig Widerstand, dem er auch gleichen entgegenzusetzen weiß, methodisch sehr zeitgemäß übrigens.

Wie? Jetzt müssen Sie hingehen, um das zu sehen! Und alles rundherum sowieso!

Foto: Ein bisschen Saturday-Night-Fever in der „Pension Schöller“ – Copyright by Herwig Prammer/ Landestheater Linz

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