Medien

Besinnlich?

Es gibt Leute, die darauf wetten, wann zum ersten Mal „Last Christmas“ von Wham bei welcher Radiostation auch immer ins Musikprogramm findet. Meist schon lange vor Mitte November verkünden sie in den sozialen Medien ihr „Bingo!“.

Ich habe in dieser Zeit etwas anderes auf der Karte, das mir weniger Wärme um ein weihnachtlich zu stimmendes Herz zaubert als einen Grant Mundl´schen Ausmaßes, so wie Karl Merkatz selig diesem Gestalt, Fahrigkeit, Tonfall gegeben hat: Diese Zeit jetzt sei so „besinnlich“. Bingoooo! In der Saison 2022 zur Ankunft des Herrn hörte ich das Wort erstmals in einem Trailer für dieses Fernseh-Adventsfest mit den zehn Millionen Lichtern. Die berufliche Frohnatur von einem Moderator beanspruchte dieses Eigenschaftswort. Wohl gemerkt: für den Aufmarsch der ewig gleichen Gladiatoren, männlich wie weiblich, die aus den Zaubermitteln ihrer Unterhaltungsmusik, wenige Akkorde und schlechte Texte rund um die Liebe, niederlullende Kaufhausmassenware mit verblüffend starkem Absatzmarkt machen. Er, so glaube ich, war zwar heuer nicht dabei. Dennoch wunderte ich mich, wie viel zu Zeiten dieser Winterfußballweltmeisterschaft seinen Fernsehplatz räumen musste – das aber nicht.

Unsere fünf Sinne müssen in diesen Wochen schon so einiges aushalten. Besinnlich in der Interpretation einer kleinen feinen Fokussierung und der Freude am darum Besonderen ist darunter wenig bis gar nichts. Da gleißen die Lichter der Weihnachtsbeleuchtungen in Innenstädten, machen Nacht zum Tag, Blendwerk. Wer es betreibt, genießt die momentane Erblindung bis einschließlich zum Blick auf die in Zeiten wie diesen gewiss interessant hohe Stromrechnung. Selbst die dicken Rauchschwaden, die sich wie Kommunikationszeichen des Advents von den mehrere Quadratmeter umfassenden Rosten der Bratwurstbrätereien erheben, trüben die hohe Lumen-Leistung der Lichter nicht. Die Würste lassen sich in ihrer Gasförmigkeit bereits schmecken.

Die vierköpfige Percussion-Gruppe, die sich mit Cajón, Schellenkranz, einer auch mehr als Schlaginstrument eingesetzten Gitarre und einem Sänger, der den eigenen Oberschenkel beklopft, in der endlosen Schleife des Refrains von Leonard Cohens „Hallelujah“ verfangen hat, kassiert in der Fußgängerzone Münzen. Sie fallen in ihren Hut weniger zum Dank als als Bestechungsgeld, das schöne Lied nicht weiter zu malträtieren.

Spätestens seit der Pandemie wurde ich menschenmassenphob. Zur Adventszeit war ich das schon immer. Auf den unfreiwilligen und ständigen Körperkontakt auf Wegen und in Geschäften, in die man auch trotz Widerstand zum extensiven Weihnachtsshopping halt muss, würde ich gerne verzichten. Er ist weit weg vom nicht uninteressanten Effekt des ungewünschten und sich doch ereignenden Sich-Betupfens, für das man sich entschuldigt, weil es passierte, obwohl es nicht passieren sollte.

Der Advent ist die Anti-Zeit für den gelebten Wunsch, jede und jeder möge ihren/seinen Raum um und für sich haben. Vielerorts spricht man vom Overtourism, der uns allen, Natur und Umwelt sowieso, so zusetzt. Den Over-Advent-ism gilt es erst in Bewusstsein und Diskussion zu bringen.

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