Klima

Die Dellendrücker

Der Tropfen, der auf meiner Windschutzscheibe zerplatzt, verteilt seine Menge Wasser. Es ist nur Wasser, denke ich mir, gerade erst ein paar Minuten nach Dienstschluss unterwegs. Die Schwüle lauert im Westen der Stadt, man sieht den Wolken ihre Sättigung mit Feuchtigkeit an. Vorerst kommt sie als Wasser nieder, gut so. Auf den nächsten Kilometern in Richtung Nadelöhr raus aus der Stadt entlädt sich an diesem 24. Juni ein Gewitterregen, wie er im Buche steht. Ich fahre durch den Tunnel, danach ist es trocken, auch heiß, so lokal sind Wetterphänomene nun.

Ich biege ab, fahre zu einer meiner Unterkünfte, die ich während der Arbeitswoche nutzen darf, die mir tägliches Pendeln ersparen. Während ich die Kette, die die private Parkbucht vor ungebetenen Stellplatzsuchern schützt, weghänge, kleben mir neue fette Tropfen das Kurzarmhemd an den Oberkörper. Zehn Sekunden später nach dem Reversieren auf den Parkplatz lässt der Himmel alles an Wasser herab, was in ihm steckt. Kein Hindenken an ein Aussteigen. Ich nehme mein Smartphone zur Hand, Zeit, um ein paar Nachrichten zu erledigen.

Eine halbe Minute später knallt es über mir ein erstes Mal, der zweite Knaller folgt unmittelbar. Mir ist absolut klar, was nun abgeht. Mein Rettungsversuch besteht darin, eine Wolldecke, die ich im Fonds des Autos habe, übers Dach zu werfen. Das gelingt zwar, bringt aber de facto nichts. Ich klappe noch die Rückspiegel ein und bringe mich, mittlerweile komplett durchnässt, unters Vordach des Hauseingangs in Sicherheit. Dort werde ich Augenzeuge eines Naturschauspiels mit Folgewirkungen. Hagelkörner in Golfballgröße zischen vom Himmel, knallen gegen Blech und Heckscheibe meines Fahrzeugs, sammeln sich entlang der leicht angeschrägten Zufahrt beim Nachbarn gegenüber. Minutenlang geht dieser Spuk vor sich. Als er endlich vorbei ist, sind die Spuren deutlich. Auf der Metalliclackierung erscheinen die Dellen, als wären Wassertropfen ins Blau gefallen und hätten ihre Eintropfstellen auf immer hinterlassen. Kein Glas-, kein Spiegel-, kein Scheinwerferschaden, Gott sei Dank! Beim Nachbarn gegenüber hat der Hagel das Dach durchlöchert. Wir sehen das vom ersten Stock aus und hören bei zehn Löchern zu zählen auf. Bei einem anderen Nachbarn wenige hundert Meter weiter in der Straße ist die Abdeckung des Swimmingpools zerfetzt und jede Kachel im Pool zerschlagen. Sein gerade drei Monate junges Fahrzeug braucht eine neue Heckscheibe und die Karosserie wurde deutlich mehr mitgenommen als meine. Ich werde demütig. Doch noch sehr viel Glück gehabt.

Einen Tag später die Schadensmeldung, fünf Tage später die Besichtigung in der Werkstätte an meinem Heimatort (der Betrieb hat einen weiteren Standort, den das Unwetter ebenso voll traf. 130 Fahrzeuge wurden beschädigt!). Schon am Telefon sagte mein Service-Betreuer, da müssen die „Dellendrücker“ ran. Google und Youtube brachten mir die hohe Kunst dieser Professionisten am Wochenende danach näher. Sie klopfen, sie unterfahren das Blech mit Federn und drücken, sie saugen mit einer bestimmten Klebemasse heraus und drücken dann wieder zurück. Und der Werkstattleiter sagt im Video dazu, dass es nicht nur darum geht, dass das Kunden-Auge nichts mehr erkennt – nein, dem prüfenden Blick des Fachmanns darf sich nur mehr flaches glattes Blech zeigen.

Ich bin gespannt. Denn morgen Montag in der Früh kann ich mein Fahrzeug abholen, nachdem ich es vor vierzehn Tagen in die Hände der Dellendrücker gegeben habe.

Foto: Vorerst unvergänglicher „Ripple Effect“ im Autoblech nach Hagelschlag, Symbolbild für unzählige Dellen vom 24. Juni 2021

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