Politik

Eigenverantwortung

Das Wort Eigenverantwortung begleitet mich beruflich gut zehn Jahre. In den Bildungsbereich kam es mit den kompetenzorientierten Lehrplänen ab 2013. In ihnen wurde mit diesem Plastikwort, wie Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen dazu sagen würde, gemeint: ein Wort ohne präzise definitorische Abgrenzung bzw. mit zu vielen definitorischen Varianten, versucht, junge Menschen (ich rede hier von Jugendlichen in der Oberstufe) in eine Lernhaltung zu bringen. Ihr Schulbesuch sei darum nicht eine Struktur, durch die sich die 14-Jährigen als Kinder eintretend, dann durch den Sturm ihrer Pubertät gehend, geleiten lassen dürfen, auch um Raum zu finden, verschiedene Identitäten auszuprobieren. Die Jugendlichen nehmen das Heft ihrer Lernzielerreichung selbst in die Hand und verfolgen in Anwendung eines ihnen selbstverständlich dafür (wodurch, wenn nicht erst in der Schule vermittelt?) gegebenen Handlungsrepertoires das Ziel ihres Schulabschlusses, also Matura, weiter dann durchs Studium in gleicher Art und Weise.

Das Konzept auf dem Papier blieb seltsam leblos, wen wundert´s, denn es hatte keinerlei Korrelationen mit der Lebenswelt von Jugendlichen aufzuweisen. Bis dann die Pandemie die Oberstufenschüler*innen in ihrer Lernisolation („Distance-Learning“) in das hineinzwang: Selbstorganisation als Kompetenz statt Eigenverantwortung. Manche bewältigten dies und lernten sehr viel, nicht nur ausgerichtet an den Lernzielen, sondern auch für und über sich und ihre Persönlichkeit. Manche scheiterten auch daran. Und zwischen diesen beiden Positionen gab es natürlich unendlich viele Nuancen. Nur so verstand ich das Plastikwort Eigenverantwortung bis Anfang Juni 2022.

Dann fand es zu einer neuen Konjunktur, als nach abberufener Maskenpflicht selbst dort, wo diese Sinn macht, weil es Notwendigkeiten gibt, dass Menschenmassen zusammenkommen (Handel des täglichen Bedarfs, öffentlicher Verkehr), auf sie gesetzt worden ist. Unser Gesundheitsminister in Österreich wurde nicht müde, mit der „Eigenverantwortung“, Maske zu tragen, zu argumentieren und zu werben. Damit wird nun jenen, die sich in ihr üben, durch die Abschaffung der Quarantäne per 1. August 2022 für Corona-Infizierte ins Gesicht geschlagen. Denn durch die damit einhergehende Neudeutung der FFP2-Maske in der „Verkehrsbeschränkung“ als ein Zeichen der Infizierten in der Öffentlichkeit werden auch jene, die die Maske freiwillig und präventiv für sich und ihre Mitmenschen im Umfeld tragen, stigmatisiert. Das wird zu einer staatlich eingeleiteten Aufkündigung des sozialen Friedens im Land führen, wenn nun alle Maske-Tragenden in den Geschäften, Bahnen, Bussen und Straßenbahnen als infiziert und infektiös gebrandmarkt werden und dementsprechend Auseinandersetzungen (die Bandbreite des Möglichen reicht von verbal bis – ja schon auch – handgreiflich) in diesem so überreizten Land an der Tagesordnung stehen werden.

Dass diese Folgen dann zu einer Eigenverantwortung des Ministers führen müssen, und zwar im Sinn, dass es ausschließlich seine Verantwortung ist, welche sozialen Konflikte er in der österreichischen Gesellschaft damit anstiftet, ist ihm hoffentlich klar. Wenn nicht, ist dringend angeraten, ihm die Augen zu öffnen, bevor es zu spät ist.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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