In Sachen öffentlicher Verkehr in Oberösterreich reden sie tatsächlich von einem Konzept. Sie wollen im vergangenen Sommer eines entwickelt haben, um in diesem Herbst und Winter der Pandemie alle Menschen, die auf öffentlichen Transport angewiesen sind, gesundheitlich geschützt an ihre Zielorte zu bringen. Das Konzept funktioniert ganz einfach: Probleme, die man selbst hat und nicht lösen kann (oder will), macht man zu Problemen der anderen.
Die gewählte Strategie aus dem Sommer sieht zum Beispiel Fahrzeuge vor, die voll mit Schülerinnen und Schülern sind, die darin sitzen oder stehen, knapper als knapp zueinander, zwar geschützt durch Mund-Nasen-Schutz-Pflicht. In den Regeln unserer neuen Abstandswelt verhält sich dies konterkarierend zu allen anderen Gelegenheiten eines Zusammenkommens. Zwar weisen Fachleute wie etwa Franz Allerberger von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) daraufhin, dass noch kein einziger Cluster aus dem Lebensbereich „Öffi“ nachgewiesen werden konnte. Medienwarnungen zu möglichen Begegnungen mit corona-positiven Mitmenschen in Bussen und bei Bahnfahrten, immer mit exakt bestimmtem Streckenabschnitt, machen quantitativ die größte Gruppe von Suchmeldungen aus. Fahrgäste, die zur gleichen Zeit auf diesen Linien unterwegs waren, sind dann zur Eigenbeobachtung ihrer gesundheitlichen Entwicklung angehalten.
Abgesehen also von diesem Paradoxon und dem Nervenkitzel, den man sich in dieser ohnedies angespannten Zeit im Hype um die täglichen Neuinfektionszahlen ersparen will, hilft der für den Schülertransport großzügig aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds finanzierte öffentliche Verkehr mit Anleitungen zur Problemlösung aus. Das geht dann so: Man ist zwar Dienstleister für einen gesellschaftlichen Teilbereich, also Bildung. Man sieht das Problem. Anstatt es selbst zu lösen, tritt man über die Bildungsbehörden an Oberstufenschulen heran und ersucht, diese mögen doch den Schulbeginn zurückverlegen. Das helfe, die Auslastung in Bussen und Bahn zu entspannen. Bei Unterricht vor allem in berufsbildenden Oberstufenformen sprechen wir von umfassenden Stundenplänen, de facto ganztägig. Verschiebt man hier den Schulbeginn, damit den Unterricht durch den Tag und am Ende von diesem in den frühen Abend, wird ein bereits gegebener Konflikt brisanter. In späteren Nachmittagsstunden stehen schon derzeit bestimmte Linien nicht mehr zur Verfügung, um junge Menschen auch wieder nach Hause reisen zu lassen. Wie geht das dann, wenn es noch mehr in den Abend geht?
In der Problemdelegation spiegelt sich das Selbstverständnis des öffentlichen Verkehrs in dieser philosophischen Frage: Fahren Schulbusse, weil Schülerinnen und Schüler zur Schule müssen oder müssen Schülerinnen und Schüler zur Schule, weil Schulbusse fahren?
Just parallel zum Hauptdilemma beim Schulbeginn informiert der Oberösterreichische Verkehrsverbund die Schulen, dass in der Zeit der Herbstferien (27. bis 30. Oktober) der Fahrplan auf Ferienbetrieb umgestellt werde. Obwohl gerade besagte berufsbildende Schulformen die gesetzlich mögliche Option zum Ausstieg aus der Herbstferienregel nutzen, um sich in Kontinuität dem gerade im Herbst ertragreichen Lernen und Lehren widmen zu können: Es wird spannend, welchen erweiterten zeitlichen Aufwand Schülerinnen und Schüler, Studierende, Berufspendler in diesen vier Tagen betreiben müssen, um Schule, Universität, Fachhochschule oder Arbeitsplatz zu erreichen. Hat der Verkehrsverbund auch Unternehmen per Anschreiben ersucht, den Beginn von Arbeitszeit zurückzuverlegen, um die Frequenz in den zu gering eingesetzten Verkehrsmitteln zu senken?
Gerade in Österreich kritisieren wir das hohe Aufkommen von Individualverkehr. So sehr man auch auf Öffis umsteigen möchte, eingesetzte Kapazitäten und Taktung – ich habe das für eigene Bedürfnisse vor einem Jahr intensiv recherchiert – sind nicht nur unter jeder Kritik, sie reichen nicht aus. Es muss ja nicht gleich eines der soliden Konzepte von Schweizer Städten sein, diese Formel-1-Varianten öffentlichen Nahverkehrs, die Gokart-Liga würde schon einmal genügen. In dem, wie Verantwortliche für den öffentlichen Verkehr in diesen Tagen mit ihren Problemverschiebungen über sich kommunizieren, erkennt man nur eins: hier stiehlt sich jemand aus der Pflicht zur Dienstleistung und auch aus der Verantwortung dafür.
Foto: Pexels/Free Photo Library
Kategorien:Mobilität
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