„Gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich die Eleganz, ja die Schönheit unserer österreichischen Bundesverfassung.“ Diesen mittlerweile legendären Satz sprach der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Frühjahr 2019, zu einem Zeitpunkt, in dem das politische Räderwerk des Lands unerwartet zum Stillstand gebracht worden ist, Stichwort Ibiza-Affäre. Die Bundesverfassung als Bauplan und Gebrauchsanweisung für das Funktionieren unserer Republik erwies sich in diesen Tagen als sehr verlässlich.
Morgen Donnerstag, am 1. Oktober 2020, feiert die Bundesverfassung ihren 100. Geburtstag. Am 1. Oktober 1920 wurde das Werk von Hans Kelsen von der Konstituierenden Nationalversammlung, „womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird“, beschlossen. Kelsen erhielt im März 1919 von Staatskanzler Karl Renner den Auftrag, eine Verfassung auszuarbeiten, auch um das Land wieder zu einen. Es gab Bewegungen von Regionen los von Wien, so wollte Vorarlberg zur Schweiz, Tirol und Salzburg hatten Interesse, zu Deutschland zu gehören. Kelsens Verfassung entstand also in einer sehr labilen Zeit und formulierte eine Basis für ein politisches Handeln als Bund. „Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz 1920 ist die zweitälteste schriftliche, noch in Kraft befindliche Verfassung in Europa. Allein das spricht für ihre Qualität“, meint dazu Politikwissenschaftler Anton Pelinka (Salzburger Nachrichten – Wochenende, 14.8.2020, Seite 2).
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich zwar und nur wie wohl jede Österreicherin und jeder Österreicher Artikel I tadellos zitieren kann: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Wusste ich darüber hinaus, was wo wie in ihr festgeschrieben steht? Bislang nicht. Muss ich es wissen? Nein. Oder doch. Uns Österreichern ist eine gewisse Bequemlichkeit eigen und zu der passt ganz hervorragend, dass wir uns durch Experten im Land erklären lassen, wenn in der Gesetzgebung etwas entwickelt wird, was mit der Verfassung nicht konform geht, was verfassungswidrig ist. Die Top-Verfassungsjuristen Österreichs mussten in ihrer hoch geschätzten Kompetenz zuletzt wieder öfter bemüht werden. Gerade die Legislative zur Pandemiebekämpfung rief die kundigen Herren oftmals auf den Plan und in die Medien, Bernd-Christian Funk, Heinz Mayer oder Theo Öhlinger. Die wissenschaftlich die Verfassung schützende Hand scheint übrigens ausschließlich männlich zu sein. Auch der langjährige ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol und natürlich unser vormaliger Bundespräsident Heinz Fischer werden gerne konsultiert.
Die Verfassung musste also auf ihren 100. Geburtstag zugehen, sodass ich mir in der Buchhandlung meines Vertrauens eine Buchausgabe – in klassischer Ausstattung: weinroter kartonierter Umschlag, weiße Buchstaben – besorgt habe. Ja, Buchausgabe. Freilich ist sie auch online verfügbar. Ich aber will da hineinarbeiten können, mit Bleistift und Haftnotizen, will mir in der Haptik, will mir in der Dreidimensionalität des Seitenpakets durch Blättern und Schmökern in so manchen Aha-Erlebnissen die Architektur meines Erforschens und Erlebens der Verfassung konstruieren können. Denn für all jene Behelfslösungen der digitalen Welt, Arbeit am Text zu markieren, bin ich ganz schlecht zu erwärmen. In ersten Studien- und darin prägenden Lehrjahren des wissenschaftlichen Arbeitens verfügte ich noch über keinen Personal Computer und das Internet war ja – unvorstellbar aus heutiger Sicht (und also eine indirekte Auskunft über mein Alter!) – dazumals noch nicht erfunden.
Man bleibt also seinem eigenen wissenschaftlichen Handwerkszeug treu, noch dazu wenn man damit selbst als juristischer Laie wirklich jene Spuren der Eleganz und Schönheit finden kann, denen unser sehr geschätzter Herr Bundespräsident gefolgt ist, als es darum ging, die Krise der Folgewirkungen einer „b´soffenen G´schicht´“ auf den Staat und sein Funktionieren zu managen. Sollten wir darum unserer eleganten schönen Bundesverfassung zum 100. Geburtstag nicht mit Aufmerksamkeit, Achtung, authentischer Auseinandersetzung mit ihren Bestimmungen begegnen? Es gibt kein besseres Geschenk, das man ihr und uns als Österreicherinnen und Österreicher zu diesem Anlass machen könnte.
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