Gesundheit

Neue Normalität (3): Alles ganz locker

Unser Alltag, drei Monate und eine Woche nach dem Lockdown, zeigt sich nun geradewegs so, als ob da nie irgendetwas anders gewesen wäre. Oder so, als ob es uns nichts (mehr) angeht: Anderswo – ja, schon, aber hier: aus und vorbei. Österreich verstand sich immer als Insel der Seligen. Diesem Unendlichkeitsanspruch zeigen wir uns verpflichtet, wenn wir lockern.

Allein schon, wenn ich in diesen Tagen das Wort „Lockerung“ nur höre, aus wessen Mund auch immer, löst es bei mir Unbehagen aus. Einerseits: Was heißt Lockerung, wenn man zu einem Zustand zurückkehrt, der einer Demokratie grundsätzlich eigen ist? Andererseits: Warum nun auf einmal so rasch? Schier im Tagestakt? Die Vorsicht der vierzehntägigen Schritte, um Maßnahmenänderung auch kausal in ihrer Wirkung nachvollziehen zu können, zwei Wochen gelten ja als Extremfall einer Inkubationszeit – sie ist weg! Unsere Regierung ereifert sich darin, nun täglich zu lösen, was bis vor kurzem als absolutes No-Go galt. In den Gastgärten, in denen man die spärlichen trockenen warmen Stunden wirtschaftlich zu nutzen wissen will, drängeln sich nun zu Zeiten für den klassischen After-Business-Drink die Massen, stehend oder sitzend. Unter großen aufgespannten Sonnenschirmen mag man die Verdichtungen aller Aerosole geradezu sehen.

Es ist alles so einerlei. Österreich öffnet die Grenzen zu anderen Ländern (ohne deren Einreisebestimmungen zu berücksichtigen) und garantiert Rückkehr ohne Quarantäne, ersatzweise negativem Corona-Test. Dies gilt seit Dienstag der vergangenen Woche, sparte damals noch Länder wie Schweden, Großbritannien, Portugal und Spanien aus. Spanien kam dann am Donnerstag plötzlich dazu. Spanien!! Ich liebe Spanien, doch die Rekordanzahl Infizierter dort würde mehr Sicherheitsvorkehrung gebieten, als es in der nun beschworenen Eigenverantwortung gegeben sein kann. Man möge den Hausverstand in den Koffer einpacken, wenn man eine Reise antritt, empfahl der Außenminister und der Karikaturist der Salzburger Nachrichten antwortete darauf mit einer Zeichnung beim Check-In, vor dem der Tourist antwortet: „Ah, den habe ich im Handgepäck, der passt dort nämlich eh hinein.“ Unterschrieben hat der geniale Zeichner Thomas Wizany seinen zeichnerischen Kommentar mit „Vollkoffer“.

Die Situation ist insofern schwierig, weil sich Regeln in ihrer Gültigkeit je nach Nutzung von Räumen unterscheiden. Während man in den öffentlichen Verkehrsmitteln dicht gedrängt sitzt oder steht, um Arbeitsplatz oder Schule zu erreichen, dabei noch Mund-Nasen-Schutz trägt (sofern dies überhaupt eingehalten wird: es gibt da mit Mitbürgern mit migrantischem Hintergrund eine besonders auffällige Gruppe, die aus dieser Verhaltenspraxis ausschert; dies sei hier in aller Sachlichkeit der Beobachtung vermerkt, anscheinend traut sich niemand, dies anzusprechen, weil es Wasser auf Mühlen bestimmter rechtspopulistischer Interessen sein könnte), heißt es an Arbeitsplätzen und in der Schule weiterhin „Abstand halten“. Die Entscheidungsträger sprechen von Regeln, die einfach und klar sein sollten. Die Abschaffung aller Regeln ist zwar einfach und klar, aber zugleich sehr gefährlich.

Virologen definieren beispielsweise Supermärkte als potenzielle Orte eines „super-spreadings“, so wie dies übrigens auch Schulen und natürlich alle Indoor-Veranstaltungsorte sein können. Und doch fiel mit Montag der vergangenen Woche die Mund-Nasenschutz-Pflicht beim Einkaufen von Lebensmitteln. Dass als Draufgabe dann am Freitag sogar die Freibäder Erleichterung bekamen, mehr eigentlich einen Freibrief, höhere Kapazitäten an Badegästen aufnehmen bzw. mehr Eintrittsgelder lukrieren zu können, indem der Flächenanspruch pro Gast von zehn Quadratmeter als aufgehoben deklariert worden ist, lässt also das spezielle Sommer-Feeling einer Liegewiesenbelegung mit der Methode Handtuch an Handtuch wieder zu. Es kann also immer nur der wirtschaftliche Druck sein, für den das Wort Corona-Krise ja gegenwärtig ausschließlich synonym Verwendung findet. Diesem nachzugeben kann allerdings einen stolzen Preis haben, den wir in einer nahen Zukunft bezahlen müssen. Die Infektionszahlen gehen wieder hoch, zur Zeit noch in einzelnen Herden, Schulen sind darunter, öffentliche Verkehrsmittel ebenso.

Mit der Gesundheit der Menschen wird gespielt, des Kapitalismus wegen, dieses gefrässigen, nimmersatten Tiers, das bei all den Lockerungen von jener Leine gelassen wird, an die es das Coronavirus im Frühjahr 2020 gelegt hatte.

Teil 1 von „neue Normalität“ erschien am 31.5.2020, Teil 2 am 1.6.2020.

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