In Linz, der Landeshauptstadt von Oberösterreich, gibt es seit 21 Jahren einen „Mona-Lisa-Tunnel“. Wer diesen Straßenabschnitt heutzutage passiert hat, dem zaubert es einen Hauch von Lächeln auf die Lippen, vergleichbar jenem aus dem berühmten Gemälde von Leonardo da Vinci. Ein Lächeln vor allem der Erleichterung: Eben hat man wieder im Individualverkehr den Stau-Hotspot der Stadt überwunden. Das zieht die Mundwinkel sodann hoch, aber nur ein wenig. Man kommt ja als Pendler wieder. Wenn es bei der Annäherung ans Tunnelportal unter 1,5 Kilometer im Stop-and-Go bleibt, darf man sich schon glücklich schätzen!
Leider folgt die Namensgebung nicht der hier erfundenen schönen Legende mit Bezug zu da Vinci. Den Vornamen der Gattinnen der federführenden Errichter, des damaligen Bürgermeisters der Stadt und eines mächtigen Bankenchefs, zu Ehren – Monika bzw. Anneliese – wurde das 775 Meter kurze Schlupfloch hinein in die bzw. hinaus aus der Stadt „Mona-Lisa-Tunnel“ genannt. Irgendwie entsetzlich profan und furchtbar provinziell!
Heute ist der Tunnel das Nadelöhr einer Stadt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten neben der Rolle als traditioneller Industriestandort (Stahl) einen Ruf als Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturzentrum aufgebaut hat. Die Stadtpolitik investierte in dies gewaltig und versäumte dabei eine umsichtige Abstimmung der vorangetriebenen Stadtentwicklung mit den Gegebenheiten, die es eben auch braucht, um eine Stadt in ihren hohen Ansprüchen attraktiv zu machen. In Sachen Verkehrskonzepte versagt man in Linz seit Jahrzehnten. Linz ist eine Stadt der Pendlerinnen und Pendler, sie bietet viele Arbeitsplätze, für mehr Leute, als an arbeitsfähiger Bevölkerung in der Stadt wohnt. Die Erwerbstätigen kommen und gehen. Täglich.
Die Idee von Park-&-Ride ignorierten die politischen Entscheidungsträger schon in den achtziger Jahren. Ich erinnere mich an meine Vergangenheit als Tageszeitungsjournalist und eine Pressekonferenz irgendwann rund um 1990 mit dem Verkehrsreferenten, bei der wir Journalisten ihn deswegen vor uns hertrieben. Der Mann verlor in dieser Stunde Kilos und literweise kalten Schweiß. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs fiel ebenso aus. Zwar fährt eine Straßenbahnlinie einen langen Weg in den Süden und dann weiter in jenen Stadtteil südöstlich des Mona-Lisa-Tunnels, der immer mehr zu dem Wohnquartier für neu anzusiedelnde Linzerinnen und Linzer wird. Kaum eine Grünfläche dort, eigentlich in einem Areal der Naherholung, auf der nicht Mehrfamilienhäuser durch unterschiedliche Wohngenossenschaften hochgezogen und übergeben werden. Zuletzt spitzte ich die Ohren, als der Linzer Bürgermeister bei der Filmfestivaleröffnung von „Crossing Europe 2021“ von mehr als 210.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sprach (206.537 vermerkt Wikipedia mit Stichtag 1.1.2021), denn ich meinte, mich an ein Schrumpfen der Stadt zu erinnern, hin zu einer Einwohnerzahl um die 180.000 herum. Der Zuzug scheint sich ausschließlich im Süden von Linz häuslich niederlassen zu müssen, zumindest legt die Wohnbauaktivität diesen Schluss nahe.
Auch sie alle müssen durchs Mona-Lisa-Schlupfloch in die bzw. aus der Stadt. Die Alternativen: Außer seltsamen Maßnahmen, etwa einer Buslinie, die in die Stadt fährt, indem sie sich zuerst in Richtung Westen bewegt, um erst nach einer riesigen Schleife ins Zentrum zu führen, mehr sightseeing also als public transport, gab es zuletzt nur die schrille Großmannssuchtsidee einer Seilbahn, die von Süden aus in die Stadt schweben soll. Finanzierbar? Nein, insofern also nur ein feuchter Traum der Stadtpolitiker. Die Schnellbahnanbindung zeigt einen zu geringen Takt und zu wenig Kapazitäten. Ein Radweg? Der führt zuerst parallel zur Umfahrung, dann geradewegs durchs Industriegebiet. Man könnte sich dabei in der eigentlich gesunden Fortbewegung die eigene Lunge mit Schadstoffen vollpumpen. So wirft es die Pendlerbewegungen zurück auf und in den Individualverkehr, der durch die seit 2000 in beiden Richtungen jeweils nur einspurige Tunnelröhre muss.
Mit dem Römerbergtunnel hin zur Donau und den Stadtausfahrten nördlich und westlich ins Mühlviertel sind in Linz drei weitere ähnlich extreme Engpässe vorhanden. Selten ist die Metapher vom Verkehrsinfarkt so stimmig wie in der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Hier ereignen sich tatsächlich Verschlüsse, die alles Leben in einer Stadt zu einem Stillstand bringen. An einer Politik des Schrittmachens fehlt es.
Foto: Stau-Perspektiven im Anstehen bzw. Anrollen zum südlichen Nadelöhr von Linz, geknipst von meiner Beifahrerin
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