Lang gab es keinen Feiertag mehr, der 15. August dämpfte das Phänomen, denn da war Urlaubszeit. Somit hatte ich gut verdrängt, was sich seit einigen Jahren zu einem auffälligen Brauch in Österreich entwickelt hatte. Kaum naht ein freier Tag, zuletzt Mittwoch als Nationalfeiertag, gesellt sich zu den besonders verstopften Ausfahrtsstraßen einer Stadt (falscher Freitag und zugleich auch Beginn der Herbstferien) eine exorbitant erhöhte Frequenz von Kunden im Lebensmittelhandel.
Ich verließ am Dienstag kurz nach 16 Uhr die Direktion meiner Schule und schob mich im Individualverkehr der vorabendlichen Verkehrsspitze mit 50 Prozent Plus an Fahrzeit gegenüber „normal“ (was immer das genau heißen mag) zum Hallenbad meines Vertrauens. Eineinhalb Stunden und ein intensives Schwimmtraining später schlägt nicht nur immer gut (und verdient) der Hunger an. Der Zeitpunkt, jetzt einen Nahversorger aufzusuchen, ist eigentlich nicht sonderlich klug, in der Tagesorganisation aber kaum anders unterzubringen. Zwar könnte der Energienachschubbedarf in unkontrolliertes Einkaufsverhalten ausarten, Vorbereitung rettet mich. Die gute alte Liste für den Einkauf hilft mir, mich zu disziplinieren. Oder auch das Angebot, das verblieben ist, eine Stunde vor Ladenschluss vor einem Feiertag.
Gern hätte ich Salat gekauft oder eine Gurke, das waren nur zwei von zig grünen leeren Gemüsekisten. Gern hätte ich Jogurt gekauft oder Butter. Leere Stauräume wie riesige Zahnlücken bleckten mir aus den Tiefkühlregalen entgegen. Gern hätte ich Orangensaft erstanden: Da hatte ich Glück und zog die letzte Flasche von ihrem Platz im Getränkeregal. Einsam und isoliert stand sie dort bereit. Mein Zugriff nahm die letzte optische Unterbrechung für ein großes Loch, das nun auch hier klaffte.
Wüsste man es nicht besser, es ließe sich der Eindruck gewinnen, man stünde in einem Lebensmittelhandel im Post-Brexit-Großbritannien. Dabei ist die Situation am feiertäglichen Vorabend im Lebensmittelhandel nicht unterbrochenen Logistik- oder Nachschubketten geschuldet, sondern dem von den Leuten schier nicht bewältigbaren Umstand, dass Feiertag – ein Tag! – bedeutet, dass Handelsangestellte ruhen, Geschäfte geschlossen bleiben. Vor diesem unerträglichen Umstand fällt das Volk heuschreckenähnlich in die Supermärkte ein und leert sie, als gäb´s nichts übermorgen.
Die nächste Versuchsanordnung zu diesem sozialen Phänomen läuft bereits morgen, sobald sich der Tag in die frühere Finsternis nach Umstellung von Sommer- auf Normalzeit zurückzieht. Am Dienstag steht mit Allerheiligen ein (Betonung auf „ein“) nächster Feiertag an. Und Weihnachten 2022 kommt: Da gilt es der Masse dann, an Christtag und Stephanitag sogleich zwei Tage hintereinander ohne verfügbaren Lebensmittelhandel zu überstehen.
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Kategorien:Essen & Trinken, Soziales Handeln