Eine durchaus sehr funktionelle Beratungstechnik im Coaching besteht darin, dass man einen Zustand, mit dem man unzufrieden ist, zu übersteigern versucht. Ein Coach bittet den Coachee, die aktuelle Situation noch schlimmer zu machen. Diese phantasiegesteuerten Fluchtversuche bleiben freilich in einem Gedankenraum, der sich eine Verbindung zur Realität erhält; für Science Fiction ist hier kein Platz. Die gewählte Denkrichtung des Übersteigerns ist natürlich nicht wirklich die, die man tatsächlich einschlagen wollen würde. Der Ausflug ins Schlimmere (oder Schlimmste) wirkt aber zumeist befreiend. Das lässt den Status quo besser einordnen und vor allem klar erkennen, dass doch noch nicht alles verloren ist, weil es ja doch noch ganz anders kommen könnte.
In meinem Heimatbundesland Oberösterreich tun wir uns zurzeit mit einer Selbsthilfe unter Nutzen dieser Fragetechnik schwer. Wie könnte es noch schlimmer kommen? Berührt die Ist-Situation nicht längst die Wand des denkmöglich Schlimmsten? Was wird noch passieren? Denn die vierte Welle der Corona-Pandemie, laut Expertinnen- und Expertenmeinung eine vermeidbare, hält unser Bundesland seit Wochen in zwei Extrempositionen: Wir halten bei der geringsten Durchimpfungsrate unter den neun Ländern Österreichs, wir verzeichnen bundesweit die höchsten Infektions- und Inzidenzzahlen in unseren Gemeinden, Städten und Bezirken. Mit den Neuinfektionszahlen pro 24 Stunden schreibt das Bundesland nahezu täglich unrühmliche Rekorde an.
Der Landeshauptmann trat am vergangenen Donnerstag zur Präsentation neuer Maßnahmen vor die Öffentlichkeit und sprach den Satz „Da schauen wir nicht zu und da schaue auch ich nicht einfach zu“. Aufrichtiger oder ehrlicher wäre wohl dieser gewesen: „Ich habe zu lange zugeschaut.“ Zurufe aus berufenem Mund gab es schon Wochen zuvor, etwa aus dem des oberösterreichischen Ärztekammer-Präsidenten, der forderte, das Land Oberösterreich möge sich doch bitte endlich an den verschärften Maßnahmen der Stadt Wien orientieren. Nichts aber geschah. Über lange Wochen hinweg. In diesen gab es ein Ereignis: Wahlen. Auszeit des politischen Tagesgeschäfts. Das Virus in seiner Verbreitungsaktivität in Landstrichen mit vielen Ungeimpften wusste diese weidlich zu nutzen.
Eine andere Fragetechnik im Coaching heißt Wunder-Frage. Man bittet den Coachee, sich vorzustellen, es geschehe ein Wunder, danach wäre alles gut. Welches Wunder müsste passieren und könnte dieses zur Eindämmung der Pandemie nicht doch allgemeine Impfpflicht (gemeint: aller Impfbaren) heißen?
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