Medien

Das männliche Leiden

Zu den liebsten satirischen Überhöhungen von Männergesundheit unserer Gegenwart zählt, dass ein simpler Schnupfen für den Homo sapiens mit dem Chromosomensatz wie ein ungelöstes Aktenzeichen schon eine Indikation von existenzbedrohender Kraft sein kann. Noch dazu jetzt: Die Jahreszeit wird kalt und immer kälter. Wird die Nase – wörtlich – voll, geht man sofort in die do-it-yourself-Differentialdiagnostik. Nur ein Schnupfen, oder eventuell doch? Das weiterhin heftig umgehende Coronavirus, nun in seiner Delta-(plus?)-Variante, äußert sich unter anderem in genau dem gleichen Symptom.

Sprichwörtlich voll habe ich die Nase, weil meine Ohren, die während Autofahrten und im privaten Alltag im Sekundärhörkonsum (vulgo: Musik und Wort beplätschern einen) am Mainstream-Radioprogramm kleben, wahrnehmen, was in Zeiten von Gleichberechtigung so ganz und gar nicht mehr geht. Wir arbeiten doch allesamt an Umgangsformen, die die Diversität unserer Gemeinschaft unaufgeregt würdigt. Unaufgeregt deswegen, weil wir nicht durch betontes Ansprechen von Verschiedenheit erst recht diese aufzeigen wollen: Andernfalls würde die Vielfalt von Menschen unterteilt und dabei möglicherweise zugleich auch noch gewertet.

Warum nur sind in den Mini-Hörspielen der Radiowerbung, vorrangig für verschiedene Arzneimittelprodukte für den selbsttherapeutischen Hausgebrauch, immer Männer a) die Tollpatschigen und daraus folgend bzw. oder b) die Leidenden, Darbenden, Siechenden, sogleich Sterbenden?

Ich exemplifiziere es an einem Beispiel von zumindest drei, die uns im Herbst jedes Jahres in den Gehörgang schleichen und indoktrinieren. Der Produktname bleibt bewusst ungenannt.

Eine dünne Mädchenstimme ruft mit leichter Intonation, dass ihr etwas Unangenehmes widerfahren sei: „Papa!!“ Der behütende Vater antwortet mit dem Echo des stellvertretenden Schmerzempfindens: „Auweh!“ und beginnt die Mission Tochter-Rettung: „Wart´, ich komme schon!“ Man hört ihn auf dem Weg. „Ah, verflixt, jetzt habe ich mir den Fuß verknackst.“ Das Rettervater-Image wird durch seine Tollpatschigkeit zerstört. Nicht um das Wohl der Tochter, sondern um das des Vaters dreht es sich fortan in der Stimme der auktorialen Erzählung zum Produkt.

Ehrenrettend für den Hersteller sei festgehalten, dass in die Textierung der Produktbeschreibung die Wendung „natürlich für die ganze Familie“ verpackt worden ist. Das nehmen aber wohl nur die ganz genau Hinhörenden noch wahr. Denn die Lebendigkeit der kleinen Spielszene fesselt Gedanken und Konzentration. Was ist denn nun wirklich passiert? Für alles danach Erzählte sieht es in Sachen Aufmerksamkeit sehr schlecht aus.

Ich könnte hier auch andere Hör-Dramen um den gesundheitlich niedergedrückten Mann erzählen, ob er nun nach dem Telefon fragt und die Partnerin meint, er wolle nun wohl nicht ernsthaft seine Mutter anrufen, oder ob er seine Partnerin mit einem letzten Atemaufwand geröchelt mit einem „Holst ma ´s, bitte!“ (für alle außerhalb von Österreich: „Holst du es mir, bitte!“) in Richtung Apotheke schickt.

Es ist diese einseitige Besetzung des männlichen Geschlechts in Werbung für Pharmazeutika. In Zeiten erforderlich hoher Achtsamkeit für bzw. gegen Diskriminierung wundert es mich, dass dies noch nicht hinterfragt worden ist. In der Arbeit gegen geschlechtstypologisierende Stigmatisierung muss auch mit dem Bild des fürchterlich leidenden, erkrankten, beinahe schon sterbenden Mannes, zugleich Muttersöhnchens, in der Radiowerbung dringend Schluss gemacht werden.

Bild: Pexels/Free Photo Library

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