Im September 2018 begab sich meine Tochter auf eine Reise nach Schottland, um dort eine liebe Schulkollegin im Auslandssemester zu besuchen. Ich fragte sie, ob sie mir aus der Fülle an Literatur, in den britischen Buchhandlungen immer so einladend aufbereitet, nicht einen Titel mitbringen könne. Immerhin halte ich mir zumindest mit Lektüre den Level meiner Englischkenntnisse gerne in einem Status, aus dem heraus er gut und rasch für Konversation aktivierbar ist, sobald ich „abroad“ bin. Was es denn sein soll, fragte mich Mila. Und ich antwortete ihr, sie wüsste schon, wofür meine Leselust brennt (wenngleich die mir liebste novel der vergangenen Jahre kaum zu toppen sein würde).
„Ich bezahle deine Auslagen, sobald du zurückgekehrt bist“, fügte ich als Kaufauftrag gebender Vater natürlich hinzu. Man liegt ja als solcher ungern auf der Tasche der Medizinstudentin. Ich zahlte schneller, als ich mir vorstellen wollte. Denn Milas Reise führte von Schottland mit der Bahn nach London. Und während der Stunden im Zug erkannte sie, dass sie für ihren Transfer Tage später von Victoria Station zum Flughafen noch ein Busticket benötigen würde. Dieses lässt sich nur online kaufen. Wir telefonierten, ich erledigte es am Laptop, Kreditkarte sei Dank! „Du hast mit dem Betrag fürs Busticket quasi dein Buch bezahlt“, sagte Mila, die für ihre Reisekosten stets selbst aufkommt: „…und ja, äh, noch was, ich habe es in Edinburgh vergessen. Aber alles halb so schlimm …“ Mutter und Oma ihrer Schulkollegin hätten sich drei Wochen später für einen Besuch in Schottland angesagt, die werden es mir mitnehmen. Ein guter Plan, nur wurde er nicht verwirklicht, mein Buch blieb in Edinburgh.
Zu Weihnachten verließen Milas Schulkollegin und ihre Mitbewohnerin dann Schottland, das Auslandssemester war abgeschlossen. Im Gepäck der einen blieb kein Platz für den Titel, die Freundin nahm es mit und somit reiste das Buch nach St. Pölten. Da sich die beiden studiumsbedingt daraufhin Wochen nicht trafen, wartete das Buch in der niederösterreichischen Landeshauptstadt geduldig auf seinen Besitzer. Es wechselte dann zurück zu Milas Freundin. Da sich sie und Mila aus Gründen dichter Terminkalender in ihren Bildungswegen auch nur selten sehen können, dauerte es dann bis in die dritte Märzwoche, dass der Roman zurück in die Hände jener kehrte, die ihn für ihren Vater in Edinburgh gekauft hatte. Und wiederum vier Wochen später überreichte Mila das Buch (nach knapp siebenmonatiger Odyssee) dem Käufer: Ambrose Parrys „The Way of All Flesh“, crime in Edinburgh um 1847. In der Altstadt werden grausame ermordete Frauen gefunden, ein Medizinstudent ermittelt.
Ich habe übrigens, obwohl Mila regelmäßig nach Großbritannien reist, vorerst keinen Bucheinkauf mehr in Auftrag gegeben. Lieferzeiten und -wege sind irgendwie lang.
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