Theater

Was hast du mit mir vor, lieber Gott?

Der eiserne Vorhang im Schauspielhaus des Landestheaters Linz (Oberösterreich) fährt hoch. Das durch die Erwartung des Publikums überwärmte Zuschauerhaus erhält klimatischen Ausgleich mit der Kühle aus dem Bühnenhaus. Das tut gut, denn im Publikum tragen wir (am 19. März 2022 richtiger: die meisten) ja FFP2-Maske. Die uns nun umwehende Kühle schärft uns die Sinne.

Theresa Palfi (Marianne) dreht uns den Rücken zu. Ihre tänzerischen Bewegungen erinnern an eine Puppe, an eine Marionette, an unsichtbaren Fäden geführt. Wir werden diese in den nächsten drei kurzweiligen Stunden zu sehen bekommen. Zuerst aber zählt das Ensemble für Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ sein Spiel ein. Denn vor der Pause – Teil eins und zwei des Volksstücks – führt Regisseurin Stephanie Mohr die Inszenierung ganz im Stil des epischen Theaters. Die szenischen Anweisungen, Miniaturpoesien an sich, werden in Chören gesprochen. „In der Luft ist ein Klingen und Singen, als spielte ein himmlisches Orchester die Geschichten aus dem Wiener Wald von Johann Strauß“, heißt es zum Schluss. Auch alles Sphärische (von Musik) entspringt als A-cappella-Gesang den Stimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler, die den sogenannten kleinen Leute Körper und Sprache geben. In jener einzigartigen Knappheit, wie sie Horváth geschrieben hat. In der das Nicht-Gesagte fast stärker wirkt als das Wort, das über Lippen kommt. Jede Pause ist schwer von Bedeutung.

Ende der zwanziger Jahre entstanden (Uraufführung 1931) wirkt in „Geschichten aus dem Wiener Wald“ der Erste Weltkrieg nach, die Wirtschaftskrise umfasst alle. Zeichen der Zukunft kündigen sich im strammen Jus-Studenten Erich, dem Besuch aus Kassel, an.

Im Bühnenbild von Florian Parbs, in den Ansagen für die Schauplätze, einmal Wachau, dann immer wieder die Gasse im achten Bezirk, wird etwa eine gute alte Telefonzelle zum Geschäft des Zauberkönigs. Der rot ausgeschlagene Bühnenraum zeigt einen verlotterten Saal, der bessere Zeiten gesehen hat. In dem hängt ein großer Fleischerhaken, unter ihm arbeiten Oskar (Daniel Klausner) und Havlitschek (Stefan Lasko, auch verantwortlich für das „Musikalische“ der Inszenierung, selbst mit dem Schleifen des Messers setzt er perkussive Elemente in diese Sprech-Oper). Bei diesem Raum könnte es sich auch um einen jener Wirtshaussäle handeln, durch die die Bühnenfamilie Bruscon in Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ tingelt. Hier also rollt ein Ensemble die Modell-Verhandlung um die Puppe/Marionette Marianne aus, hier werden die Beziehungen ums Überleben im Kleingewerblichen geknüpft, wird Geld mit Wetten gemacht, geborgt und nicht zurückerstattet.

Nach der Pause, im dritten Teil, hinterlässt die Heurigenseligkeit Katerstimmung, in der die Auswirkungen aller Verlogenheit streng und kalt aufgedeckt werden. Die Opfer sind bestimmt, die da sind: das Kind Leopold, welches Marianne mit Alfred hat, und sie selbst. Die Antwort auf ihren Ruf (Schluss des zweiten Teils) nach dem Vorhaben, das Gott mit ihr hat, erhält die rüde Antwort, eine Wahrheit, die symbolisch gelesen werden darf: Zeiten von Krisen gehen zu Lasten von Kindern und Frauen. Das Frauenbild, das in Horváths Volksstück steckt, scheint nur überwunden oder begraben. Es geistert auch heutzutage wieder herum.

Zu den herausragenden unter allen 14 des großartigen Ensembles zählen Theresa Palfi als Marianne, Benedikt Steiner als Alfred, Horst Heiss als Zauberkönig und Christian Higer als Großmutter/Beichtvater/Conferencier. Ein Abend, der sich in seiner Akribie als ganz besonderer Beitrag in die Horváth-Rezeptionsgeschichte einschreibt!

Bild: Im Maxim – Horst Heiss als Zauberkönig (links) und Theresa Palfi (Marianne), Foto: Petra Moser/Landestheater Linz

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