Soziales Handeln

Dumm ist …

Im Zusammenhang mit ihrem Essay über „Dummheit“ (erschienen in der feinen Reihe „übermorgen“ bei Kremayr & Scheriau in Wien) wurde die namhafte Psychiaterin und Gerichtssachverständige Heidi Kastner mehrfach interviewt. Zitate aus diesen Gesprächen fanden auch als Memes ihre social-media-Öffentlichkeit. In einem plädierte sie dafür, dass es in unserer Gegenwart wieder notwendig wird, Dummheit dann, wenn sie auftritt, auch ganz klar als solche zu benennen.

Die Pluralität der Meinungen, auch jener, die jeder faktischen Grundlage entbehren, wird in einer falsch verstandenen Form von Liberalismus oder Toleranz zugelassen. Dummes steht dann einfach da, wird angesehen, vielleicht noch folgt ein Kopfschütteln, ein Abwenden. Das Dumme aber bleibt und entwickelt durch unkommentierten Bestand eine Schein-Faktizität, die wiederum durch Vervielfältigung – social-media-Netzwerke funktionieren hier als Kopiermaschinen – den Wahrheitsanspruch stärken. Insofern war es nur konsequent, dass die Empfehlung der Psychiaterin im gleichen Feld aufzeigte, was hier gefragt ist: zu sagen, wenn etwas dumm ist.

Mir ist schon klar, dass die Aufklärung möglicherweise als nur kurzer Wimpernschlag in der Geschichte (zurzeit etwa 270 Jahre jung) gelten mag. Doch verdanken wir ihr viel. Die wissenschaftlich basierten Erkenntnisse haben uns in diesen knapp dreihundert Jahren doch auch ordentlich weitergebracht. Dass wir zugleich darauf vergessen haben, uns der anderen Seite, jener, die Schwierigkeiten damit hat, wissenschaftliche Methodiken, Erkenntnisse und dadurch gesicherte Ergebnisse verstehen zu können (oder zu wollen), anzunehmen, rächt sich nunmehr fürchterlich.

Ein Gutteil Dummheit hat aber einen Beweggrund, er heißt Wirtschaft, er heißt Kapitalismus. Die Macht des Geldes ordnet vieles unter, auch besonnenes Handeln. Dargestellt an drei Beispielen aus jüngster Zeit und irgendwie meine persönlichen Top-drei-Dummheiten aus den vergangenen Wochen:

Platz drei: Mühlviertler kaufen Führerscheine. Zwei junge Männer, beide noch keine 30 Jahre alt, erkannten sich als nicht lernstark genug, um den Führerschein durch Prüfung zu erwerben. Sie bestellten um sehr gutes Geld Fälschungen im Internet, die sie nicht erhielten. Daraufhin gingen sie zur Polizei, um diesen Betrug anzuzeigen. Und bekamen ihre Anzeigen natürlich auch selbst.

Platz zwei: Schitourismus. Zu den Weihnachtsfeiertagen 2021 landeten jede Menge Flugzeuge aus dem als Virusvariantengebiet (Omikron) eingestuften Großbritannien in Salzburg und Innsbruck, noch allerdings ohne durch Verordnung vorgegebenes Sicherheitssystem. Wie man hier kontrolliere, fragte man dazu einen Verantwortlichen am Flughafen Innsbruck: In Stichproben, antwortete der. 15 von 5000 Einreisenden brächten die Infektion mit sich, kommentierte das der Mikrobiologe. Von diesen weg wird es in der Verbreitung exponentiell. Auch wenn der Wintertourismus das wirtschaftliche Rückgrat der Regionen bildet, kontrolliert würde er ein gesicherteres Geschäft mit weniger Einschränkungen (Quarantänen) entwickeln können. Wichtige Anmerkung dazu: Mit solcher Kritik muss man sehr, sehr vorsichtig sein, gerade in Tirol vertragen sie diese teilweise sehr schlecht.

Platz eins: Seit 4. Jänner 2022 sind in den Tätowierstudios nahezu alle Farben verboten, weil die Europäische Union eine ganze Reihe von Chemikalien untersagt hat, die zu wenig erforscht seien und möglicherweise Substanzen enthalten, die gesundheitsgefährdend, gar krebserregend sind. Solche finden sich auch in den bunten Tätowierfarben. Die Industrie hat da bereits reagiert und produziert neue Farben ohne bedenkliche Inhaltsstoffe. Nur für einen bestimmten Blau- und einen bestimmten Grün-Farbton, die unter die Haut sollen, konnte noch kein Ersatzprodukt entwickelt werden. Die Europäische Union daraufhin so: Die ursprünglichen Farben dieser Töne (mit den gesundheitlich unsicheren Substanzen) wurden wieder zugelassen, befristet bis 2023. Gesundheit ist bei leichtem Nachhinken technologischer Entwicklung nämlich egal, das Geschäft muss florieren.

Die Menschheit zu Beginn von 2022, natürlich in einem Mikro-Ausschnitt: Dumm. Heidi Kastner hat Recht. Wir müssen es sagen. Schreiben geht natürlich auch.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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