Bildung

Nach Rzeszów

Der 17. Oktober 2011, heute vor zehn Jahren, ein Montag, begann für mich sehr früh am Blue Danube Airport in Linz (Oberösterreich). Mit dem Morgenflug nach Frankfurt. Ich erinnere mich an meine Sitznachbarin, die sich immer wieder entschuldigte. Die Morgenstund´ hatte bei ihr das Gold des unstoppbaren Redeflusses im Mund: „Ich muss mit Ihnen reden, bitte! Es hilft mir gegen meine Aufregung!“ Für sie ging es in Frankfurt weiter nach Los Angeles, ein Auslandsjahr. Für mich nach Polen, eine Woche Dienstreise.

Der Canadair Regional Jet der Lufthansa Cityline strebte zuerst über Tschechien, dann Kattowitz und Krakau Rzeszów (sprich: scheschuf) zu, in die Hauptstadt jener Woiwodschaft, die den südöstlichsten Zipfel von Polen bildet. Die Luftlinie von Rzeszów nach Wien beträgt 420 Kilometer. Nur ist über unsere Bundeshauptstadt der Weg dahin seltsam kompliziert und äußerst langwierig. Darum wählte ich den Haken über den dazumals für Linz nächstgelegenen Hub, Frankfurt. Immerhin bot der eine tägliche Verbindung nach Rzeszów an.

An diesem Montag befanden sich einige mehr an Bord, die das gleiche Ziel wie ich hatten. Einer Vorstellrunde, die mittels E-Mail schon zuvor angestoßen worden war, dankten wir, dass wir einander schon am Gate in Frankfurt in physio kennen lernen konnten. Wir reisten an zu einer Woche „study visit“ der Organisation CEDEFOP (Abkürzung für „Centre européen pour le développement de la formation professionnelle“; Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung), einem wunderbaren Fortbildungsprogramm der Europäischen Union, leider dann 2012 eingestellt, für das man sich als Lehrperson aus dem berufsbildenden Schulwesen bei den jeweiligen Nationalagenturen Lebenslanges Lernen bewerben konnte. Die Bildungsdirektion der Europäischen Union in Brüssel unterzog die Interessenten einem sogenannten „matching system“. Dahinter steckte die Idee, den bestmöglichen Mix von Lehrerinnen und Lehrern aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zusammenzubringen, will heißen: nur eine oder einer pro Mitgliedsstaat. Nur aus Rumänien kamen zwei. Immer. Bei jedem CEDEFOP-Seminar.

Wir bildeten eine Melange von Menschen, die sich in ihren staatlichen Verwaltungsaufgaben, Bildungsregionen oder Schulen mit „quality assurance“ beschäftigten: George aus Griechenland, Rodoula aus Zypern, Saskia aus Belgien, João aus Portugal, Michael aus Deutschland, Maria aus Ungarn, Hanna aus Polen, Iuliana und Alexandru aus Rumänien, eine Kollegin aus Schweden, deren Name mir leider entfallen ist, Cagaya aus der Türkei (als assoziierter Staat im Fortbildungsprogramm) und Peter aus Österreich. Das Programm zum Thema „What pedagogical supervision do schools need for quality assurance?” bestand aus Präsentationen, die wir vorbereitet mitzubringen hatten (Arbeitssprache: Englisch), Diskussionen, Besuchen unterschiedlichster Bildungseinrichtungen im Karpatenvorland, Sightseeing und jeder Menge informellem Austausch.

Was nachdrücklich (nach zehn Jahren) in Erinnerung blieb: Rzeszów, eine Stadt in etwa so groß wie meine Geburtsstadt Linz, strahlte einen postsozialistischen Charme aus, insbesondere in einigen Denkmälern und mächtigen Verwaltungsgebäuden, die den Spirit kommunistischer Protzarchitektur selbst dann trugen, wenn sie auch erst nach 2004 (dem Beitritt Polens zur Europäischen Union) errichtet worden waren. Der Leidenschaft für Nikotin frönten die Mitarbeitenden in der Bildungsverwaltung in einem ins mächtige Stiegenhaus eingebauten Glaskobel, in dem man vor lauter Qualm nur noch Beinpaare ausnehmen konnte.

Irgendwo in der Peripherie von Rzeszów, die wir durchstreiften, lernten wir die pädagogische Führung eines Kindergartens kennen und staunten nicht schlecht über die polnische Fortschrittlichkeit. Denn der Kindergartenpädagoge (ja, männlich!) ließ klar erkennen, dass er Menschen des eigenen Geschlechts zugeneigt war. So viel Toleranz und Akzeptanz fanden wir in Polen 2011. Heute? Im rechtspopulistischen, klerikal-konservativen Handlungsfeld der politischen Macht in Polen wohl eher nicht mehr: Mich würde interessieren, was aus ihm geworden ist.

In einem Gymnasium staunten wir über einen voll ausgestatteten Schießstand im Keller, an dem sich Lehrende wie Schüler im zielsicheren Gebrauch von Leichtkalibergewehren übten.

Solche Auffälligkeiten drängen sich in der Erinnerung vor. Wir haben uns in netto vier Tagen (Montag mittags bis Freitag mittags) aber wirklich eingehend über Qualitätsmanagementsysteme unserer Länder und Schulsysteme ausgetauscht. Es war bereichernd und führte zu einer Facebook-Gruppe (leider ohne schwedische Beteiligung), über die wir seit nunmehr zehn Jahren Kontakt halten. Kooperationsideen hatten wir zur Genüge, leider war das Konzept von CEDEFOP nicht darauf ausgerichtet, zusammenzukommen, eine Idee zu ersinnen, sie auszuarbeiten und in den jeweiligen Einflussbereichen der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer auszuprobieren, sich neuerlich zu treffen und zu evaluieren. Schade, immer noch.

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