Literatur

Happy birthday, Richard Sennett!

Eine fehlgeschlagene Operation an seiner linken Hand beendete 1962 für den 19-Jährigen eine gewiss aussichtsreiche Karriere als Cellist und Dirigent. Richard Sennett, in Chicago in ärmlichen Verhältnissen geboren, lernte seinen Vater nie kennen, die Mutter sicherte als Sozialarbeiterin die Existenz der kleinen Familie. Beide Eltern waren überzeugte Kommunisten und hatten es deswegen keineswegs leicht, Stichwort McCarthy-Ära. Sennett studierte zuerst in Chicago (bei David Riesman und Erik Erikson), später dann in Harvard (bei Talcott Parsons) Soziologie und Geschichte. Nach seiner Promotion lehrte er in Harvard, Yale, Rom und Washington. Heute arbeitet und lebt er mal westlich, mal östlich des großen Teichs, sprich: in New York und in London.

22 Regalzentimeter Sennett in der privaten Fachbibliothek … und es dürfen gerne noch mehr werden!

Seit jeher kümmert er sich um zwei sozialwissenschaftliche „heiße Eisen“ in seinen Forschungsschwerpunkten, nämlich Arbeit und Raum. Die zur Zeit entstehende Trilogie in diesem Zusammenhang besteht bereits aus einem ersten Band („The Craftsman“, deutsch: „Handwerk“, 2008) und dem zweiten, „Together“ („Zusammenarbeit“, 2012). Sennett beabsichtigt, diese von ihm als „Homo-faber-Trilogie“ titulierte Arbeit mit einem Text über den gegenwärtigen Städtebau abzuschließen.

Sennett hängt weder einer Denkschule an (trotz Studiums bei Strukturfunktionalisten Parsons!), noch hat er eine für sich begründet. Er empfindet Sympathie für die philosophische Tradition eines Pragmatismus:

pragmatism does not mean „practical“ in the strict problem-solving sense. It focuses rather on lived experience, „Erlebnis“ as I think you would say in German; for the sake of being open to new experience, pragmatism dwells less on strategic practice, which perhaps is better expressed in German as „Erfahrung“. Because pragmatism values surprise and curiosity in lived experience, it emphasizes an openness and improvisation in understanding (…) (Richard Sennett: How I Write: Sociology as Literature, Münster 2009,  S. 64)

Sennett versteht es, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer klar verständlichen Sprache zu vermitteln. Anlässlich der Verleihung des Gerda Henkel Preises 2008 gab Sennett in vier Punkten Selbstauskunft zum „Handwerk des Schreibens“. Im dritten, den er „Wecken von Interesse“ nennt, definierte er:

Eine andere Methode, um Neugier zu stimulieren, dreht sich um das unausgesprochene Wissen, um Dinge, die wir als selbstverständlich voraussetzen, um das Verhalten, das wir unbewusst an den Tag legen. Der Verfasser von soziologischer Literatur wird mit diesem Element des für selbstverständlich Gehaltenen arbeiten und dem Leser diese Momente nach und nach ins Bewusstsein rufen, indem er aus dem , „was jeder weiß“, etwas macht, was zunehmend irritiert und provoziert. (R.S.: Wie ich schreibe: Soziologie als Literatur, a.a.O., S. 84, ins Deutsche übersetzt durch TransLatio netWork Frankfurt)

Sowohl in seinem Forschungs- als auch in seinem Schreibverständnis finde ich mir in Sennett seit Jahren ein großes (unerreichbares) Vorbild. Heute, am Neujahrstag 2018, feiert Richard Sennett seinen 75. Geburtstag. Happy birthday!

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