Sprache

Probleme im Arbeitsablauf

Der mir lieb gewordene Start in den Arbeitsalltag durch das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel erhielt unlängst Bremswirkung. Mittlerweile nehme ich den Weg zur Arbeit mit Regionalexpress, S-Bahn, Straßenbahn und/oder Bus als meditative Einstimmung wie Ausbegleitung in die bzw. aus der Fülle des zu Erledigenden. Auf dem Weg zur Arbeit fokussiert man sich, auf dem Weg nach Hause reflektiert man sich. Herrlich, zwei schöne Phasen Lebensqualität zusätzlich zur dritten, dem Arbeitstag an sich.

So schön diese Melodie des Arbeitslebens also spielt, neulich – um im Bild zu leben – quietschte etwas schrill dazwischen. Nicht etwa, weil die uns in Österreich seit Jahrzehnten vertraute Stimme von Chris Lohner aus den Lautsprechern des Bahnsteigs kakophon geworden wäre, nein, ihre Stimme – Artikulation, Färbung, Klang – bleibt Musik. Nur ein neuer Inhalt wirft den Kunden aus der Bahn, wörtlich wie im übertragenen Sinn. Frau Lohner, die mit ihrer schönen Stimme den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) wohl tausende Textbausteine (in Fachsprache für Aufnahmen) „eingesprochen“ hat, wird also derart in diesen Partikeln zusammengebastelt, dass dieser Satz entsteht: „Regionalexpress sowieso, mit Planankunft um Uhrzeit und Planabfahrt um Uhrzeit hat X bis Y Minuten Verspätung, Grund: Probleme im Arbeitsablauf.“ Es folgt die Belehrung, dass sich Verspätungen stets verändern können. Und die Floskel des Ersuchens um Verständnis.

Wie bitte? „Probleme im Arbeitsablauf“? Was genau will das Unternehmen Bahn seinen Kundinnen und Kunden damit erklären? Denn die drei Worte folgen ja diesem einen: Grund.

Wer immer in welcher Weise auch hier „kreativ“ getextet hat, der oder dem sei herzlichst gratuliert. Zwei Plastikwörter in einer Wortgruppe von nur drei Wörtern, das will ja auch einmal geschafft werden. Unter Plastikwort versteht der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen ein Wort ohne präzise definitorische Abgrenzung bzw. mit zu vielen definitorischen Varianten. Was genau heißt Problem, was genau Arbeitsablauf?

Wir wollen hier höflicherweise nicht annehmen, dass die Phrase Ausdruck des Umstands sein soll, dass wer dies zugibt, in Selbstoffenbarung sagt, sie/er könne den Job nicht. Sprachliches Tarnmäntelchen, das darüber geworfen wird, also: „Probleme im Arbeitsbereich“.

Wir stellen uns vor, wir sitzen in einem Restaurant, haben bestellt, die Getränke sind serviert, das Gespräch am Tisch ist herrlich im Gange, jemand vom Servicepersonal tritt hinzu und schiebt uns die Erwartung des eben bestellten Essens und damit unseren Hunger mit „Probleme im Arbeitsablauf“ auf. Wir stellen uns vor, wir sitzen zu einem Untersuchungstermin bestellt im Wartezimmer einer Facharztordination, Monate lang haben wir diesem entgegengefiebert. Doch anstelle des Aufrufs ins Behandlungszimmer ertönt aus dem Lautsprecher die Information unbestimmbaren Aufschubs wegen „Problemen im Arbeitsablauf“.

Selbst als Tarnung für Unerklärlichkeit von Ursachen und darin Überbrückung einer Zeit wirklich nicht einkalkulierten Wartens taugt „Probleme im Arbeitsablauf“ wenig, eigentlich gar nichts. Die Fantasie springt an, zumindest meine, und sie füllt die Plastikwörter mit Inhalten, einem Lokführer, der verschlafen hat, dem Koch, dem die Hitze an seinem Arbeitsplatz den Kreislauf kollabieren ließ, Ärztin oder Arzt samt Assistenz, die sich an der sensiblen Elektronik teurer Untersuchungsapparate abmühen, weil ein „bug“ im System diese gerade lahmgelegt hat.

Alles natürlich unaussprechliche, schlecht transparent zu machende wahre Gründe … Äh, warum eigentlich nicht? Würde hier nicht offene Ehrlichkeit etwas zurückbringen? Nämlich das Menschliche an uns Menschen. Wir sollen immer funktionieren, in unserer Gesellschaft von Leistungs-, Erfolgs-, Zeitdruck. Das können wir nicht immer. Wir könnten uns uns selbst zurückerobern, indem wir offen und klar benennen, warum etwas gerade so ist, wie es ist. Mut zur Fehlerkultur also: ein Schwachpunkt im deutschsprachigen Mitteleuropa, wie wir wissen.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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