Trost spendete mir zum späteren Abend des vorangegangenen Sonntags ein „Kommentar der anderen“, Ökonomin Lea Steininger rief Wittgenstein auf den Plan, Scharnierthese. Wir leben in einer Gegenwart und ihr Leitvokabel lautet Inflation. Ist so. Soll so sein. Glaubt es! Wer daran zweifelt, bekommt es von der österreichischen Bundesregierung als Mantra vorgemurmelt, bis das mit dem Glauben halt wieder passt. Zweifel sind zurzeit nicht angebracht, ein Nachdenken darüber, gar ein Hinterfragen? Nur nicht! Der Staat braucht uns in der Dulderhaltung: Alles ist teuer, weil die Inflation die Preise antreibt.
In Österreich zeigte man sich im Jänner „überrascht“, dass die Zweistelligkeit vom Jahresende 2022 doch nicht sank, sondern stieg: 11,2 Prozent Inflation. Die Schnellrechnung – ein neues Spielzeug für die mediale Welt und ihre Inszenierung von Angst und Entsetzen – zeigte für Februar auf elf Prozent (definitiv sind es nun 10,9). Man freute sich falsch über zwei getilgte Zehntelpunkte. Dazwischen liest man dann von Millionengewinnen von Energieversorgern, sinkenden Preise an jenen Märkten, auf denen der Großhandel betrieben wird. Vom Sinkflug kommt allerdings beim Konsumenten kaum etwas an. Ein Viertel Butter sah ich in einer Filiale einer großen Lebensmittelkette auf den psychologisch (hoffentlich!) wirksamen Preis von 1,99 reduziert. Wir geben die billigeren Preise weiter, heftet man sich hier ein Wohltäterimage ans Revers. Das muss man tun, wenn schon der Name des Unternehmens in der Imperativform zum guten Haushalten mit Geld daherkommt. Im Tiefkühlregal sah ich dann ein Produkt, gern gekauft und in zwei Mahlzeiten genossen, vier Fischfilets in Panade, früher einmal zum Preis so um 3,99, heute – 8,99. Woher kommt die Preissteigerung um stolze fünf Euro wirklich? Was hebt den Preis pro Filet von irgendwann damals von einem Euro auf 225 Prozent?
Nach Lea Steininger ist es dann so, dass, wenn der Fisch teuer wird, all jene, die ihn produzieren, mehr verdienen, das Geld eben dorthin fließt. Keine Entwertung, wie sie richtig sagt, eine Lenkung, schon höhere Energiekosten, aber natürlich auch Gewinnmargenerhöhung. Ich sage dazu: Goldgräberstimmung nach den Pandemiejahren, Nachholeffekte im Kapitalismus. Willkommen im Goldrausch der zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts! Noch schaut niemand weder links noch rechts, was die eigentlich anstehende Krise, von der Pandemie auf die lange Bank geschoben, die Klimakrise von uns braucht. Eine Änderung unserer Prioritäten! „Ein neuer theoretischer Ansatz zum Thema Preisstabilität kann uns helfen, die Tür der „Inflation“ zu schließen und der Komplexität von Preissetzungspolitik in der Ökonomie des 21. Jahrhunderts auf eine gehaltvolle Art und Weise zu begegnen“, schreibt die Wirtschaftsforscherin.
So! Bleibt also noch zu offenbaren, was mir die Laune am Abend des vergangenen Sonntags verdarb: Der Anbieter (Name nach einem Götterboten) meiner Krankenzusatzversicherung wusste nichts Besseres zu tun, als seine Versicherungsnehmerinnen und -nehmer an diesem Sonntagnachmittag per automatisierter Mail aufzufordern, im Online-Kundenportal oder in der App die Anpassung der Polizze, darin der Prämie per 1. April 2023 einzusehen. Natürlich tat ich es. Die neue Polizze, tatsächlich ausgestellt an diesem Sonntag (wie seriös!, Ironie wieder off!), zeigt unter den üblichen Argumenten von hoher Inflation, Energie-, Personalkosten blablabla eine Prämiensteigerung von 16,65(!) Prozent. Kleiner sachlicher Hinweis: Die Jahresinflation 2022 wird für Österreich mit 8,6 Prozent angegeben. Woher rühren die anderen 8,05 Prozent?
Telefonnummer und Mailadresse für Rückfragen waren freundlicherweise vermerkt. Von der Mailadresse machte ich Gebrauch. Dass bis dato keine Antwort einging, steht für die Ignoranz aller Dienstleister in ihrer haltlosen Preissteigerungspolitik: Man schweigt, sitzt den Ärger und die Empörung aus. Doch dieses Schweigen ist auch eine Antwort. Wer darum Kundenservice im Sich-Wegducken lebt und nicht kommunizieren will, muss aushalten, dass man sich seinen Reim darauf macht, Konsequenzen entwickelt, umsetzt. Was sagt dazu Lea Steininger? Man muss der Preissteigerungspolitik auf gehaltvolle Art und Weise begegnen. Wir Konsumentinnen und Konsumenten wissen also, was wir zu tun haben.
Foto: Pexels/Free Photo Library
Kategorien:Politik, Soziales Handeln
Update am 20.3.2023 abends: Wider Erwarten erhielt ich heute eine Antwort der Versicherung. Zu dieser nahm ich nochmals Stellung, und zwar so:
Ich bedanke mich für Ihre Antwort, mit der ich, ehrlich gesagt, nach einer Woche Schweigen der … Versicherung nicht mehr gerechnet habe.
Darf ich anregen, bei Bekanntgabe einer Kontakt-Mailadresse zu Rückfragen ein Ticketing-System zur Bearbeitung einzurichten oder zumindest mit einer automatisierten Antwort vorzugehen, sodass jemand, der anfragt, erfährt, dass eine Bearbeitung ansteht, die aber Zeit braucht?
Zu Ihrer Antwort: Diese ist inhaltlich nachvollziehbar und zugleich muss ich fragen, warum man nicht sogleich im Anschreiben so argumentieren kann. Was will man da den Kunden zuerst vorenthalten? Oder nicht zumuten? Ich nehme an, Sie werden nicht wenige Mail-Anfragen bekommen haben, aus Ärger, aus Empörung; das ließe sich alles verhindern, wenn die Kommunikation mit dem Kunden vorab eine gebotene Augenhöhe sucht.
Auf dieser muss ich Ihnen mitteilen, was ich als langjähriger Kunde Ihrer Versicherung in den vielen Jahren wiederholt kritisiert habe. Als Kunde spürt man nicht, dass Sie in den Verhandlungen mit den Krankenhausträgern im Interesse für uns Kunden arbeiten. Ich kenne auch Ihre Argumentation, die Sie darum nicht als Antwort senden müssen: Es droht die Kürzung von Leistungen, und das wollen wir doch alle nicht! Das ist richtig, aber mehr denn je müssen wir uns heute die Frage stellen, zu welchem Preis wir was erhalten können.
Ich bin in der finanziellen Lage, die Prämienerhöhung von 16,63% tragen zu können. Aber wie viele Ihrer Versicherungsnehmerinnen und -nehmer sind das wirklich bzw. nicht mehr? Wie vielen wird die Prämie zur finanziellen Belastung, von der sie sich befreien müssen? Und davon hat ja niemand etwas, weder die Krankenhausträger noch die Versicherten noch die Versicherung.
Bitte werten Sie das als Feedback und Denkanstoß, der den richtigen Platz auf den Schreibtischen Ihrer Geschäftsführung hat. Ich würde mich freuen, wenn er dort landet. …
LikeLike