Mobilität

Schöne neue Auto-Welt

Vielleicht bin ich naiv, simpel gestrickt oder doch einfach nur alt. Oder an der persönlichen Schwelle, was bei mir analog bleiben muss, über welche Linie hinein ins Digitale ich nicht mehr mitgehe. Heute schaue ich mir dies in Sachen Individualverkehr an. Ja, es ist nicht cool, in Zeiten wie diesen zu bekennen, dass man Auto fährt. Schon andernorts habe ich hier geschrieben, dass mein Ansinnen, öffentlich zu pendeln, nicht realisiert werden kann. Da muss das Angebot von Bussen und Bahn noch kräftig nachrüsten, damit ich eine faire Chance habe, in vertretbarer Zeit meinen Arbeitsplatz zu erreichen und vice versa auch wieder nach Hause zu kommen.

Also: mein Auto. Ich fahre zurzeit eines, Mittelklasse, Marke … egal! Sein Zulassungstag jährt sich morgen zum dritten Mal. Es kann einiges, hat Features, die der Bordcomputer hervorragend steuert, ökonomischer und ökologischer Energieeinsatz, das lässt den Verbrauch selbst in Winterzeiten sensationell reduzieren, Parksensoren, Distanzkontrolle nach vorne, sogar mit automatisierter Bremsung, falls das einmal notwendig sein sollte, Reifendruckmessung, es klingelt unangeschnallte Mitreisende zur Gurtpflicht. Elektronische Helferchen in überschaubarem Ausmaß, komfortabel. Ich durfte das vor Kaufvertragsabschluss ausgiebig testen. Ich bin sehr zufrieden mit all dem. Ich fahre Schaltgetriebe, das heißt: Ich fahre. Auf eine mögliche Zukunft eines autonomen Fahrens (Bordcomputer macht alles) halte ich gar nichts, mag die Maschine auch in vielem schneller sein, als Mensch reagieren kann.

Unlängst brachte ich mein Auto zum Service und erfuhr umgekehrt Gleiches, indem man mir für die notwendige zeitressourcenschonende Bewegung zum Arbeitsplatz und zurück einen Ersatzwagen zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem Öffnen der Fahrertür reiste ich in eine Zukunft, die schon Gegenwart ist. Denn zugleich begann sich im Armaturenbrett mit einem Animationsfilm zum Fahrzeug selbst die Maschine dafür vorzubereiten, dass ich mich gleich hinter das Steuer setzen werde. Seit Marktauftritt einer großen elektrisch betriebenen Automarke scheint zusätzlich ein großer Monitor zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nun allseits Pflicht geworden. Dort springt das Bordunterhaltungsprogramm an, nebenbei ein Routenplaner in 3D, man sieht die nächsten Tankstellen aufblubbern, markante Unternehmen erscheinen mit Namen auf der Landkarte, die sich dem Fahrer zeigt, als wäre er leicht im Überfliegmodus. Dass man Zündschlüssel nicht mehr steckt und dreht, sondern nur noch bei sich hat und aufs „Engine“-Knöpfchen drückt, wird mir bei einem nächsten Fahrzeugwechsel in vielen Jahren schwer zusetzen. Ich bin wirklich noch zu sehr Handwerker des Autofahrens. Und erlebte bei der Ausfahrt in der gegenwärtigen Zukunft über circa 80 Kilometer mich selbst in einem gefordert: Wie bringe ich Blick und Konzentration durch Windschutzscheibe, in Rück- und Innenspiegel auf die Straße und somit in den Verkehr und in die Umwelt, während am Armaturenbrett eine bunt leuchtende Informationsflut meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte? Jedes Verkehrszeichen am Straßenrand erscheint hier auch digital. Geschwindigkeitsbegrenzungen werden am Tachometer eingeblendet, selbst kleines Überschreiten macht das Tortenstück des Zu-Viels schon knallrot. Der Fahrbahnzustand wird farblich kategorisiert (nass, feucht, trocken). Das grüne „N“ für den Norden des Kompasses schwirrt je nach Fahrzeugbewegung herum. Daneben bedient man das Bordklima, versucht die in Gang geratene Lenkradheizung abzuschalten, warme Hände – ja, heiße – nein! Damit ist nur ein Gimmick von zahlreichen thematisiert, die den Fahrer beschäftigen. Ablenken. Ja, ablenken!

Ob die Mühe, die Sinnesorgane dorthin zu lenken, wo sie im Straßenverkehr wirklich gefragt sind, tatsächlich alle aufbringen, diese Frage blieb nach dieser Fahr-Erfahrung stehen: Antworten erleben wir – mit nicht zu geringer Wahrscheinlichkeit – täglich unterwegs.

Foto: Pexels/Free Photo Library

1 reply »

  1. Da bin ich voll bei dir. Ich hatte auch Gewöhnungprobleme, und wenn es plötzlich schrill piept bin ich noch heute, nach drei Jahren mit dem neuen smarten Auto, froh, wenn ich nicht vor Schreck aus der Spur komme.

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