Kulturpolitik

Kultur-Genuss, möglicherweise tödlich

Es liegt am Phänomen des Gleichzeitigen, also nahezu. Ich griff nach der Meldung zum Tod des großen britischen Theatermachers Peter Brook vor zwei Wochen wiederum zu seinem Buch „Der leere Raum“. Es basiert auf vier Vorlesungen, die im Titel jeweils dem Theater Eigenschaften zuordnen, und zwar zuerst „Das tödliche Theater“, sodann ist es heilig, derb und unmittelbar. Berühmt sind die ersten Sätze, in der von Walter Hasenclever aus dem Englischen übertragenen Fassung meiner Buchausgabe aus 1983 lauten diese: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“

Am vergangenen Montag dann lese ich als ersten Satz der neuen Arbeitswoche die Schlagzeile auf Seite 1 der Oberösterreichischen Nachrichten: „Kultur: Dieses Wochenende war ein Genuss.“ Genuss als Wort ist bei mir semantisch vorrangig in der Kulinarik beheimatet; es ist nicht Teil meines Sprachschatzes, um Darbietungen auf Bühnen zu qualifizieren. Vielleicht bin ich auch zu lange Theaterkritiker (gewesen), in diesem Vokabel liegt keine reflektive Kraft. Es nimmt der reproduzierenden Kunst Chancen, zwischen Bühne und Publikum dieses Netz von Verbundenheit schnell und unsichtbar aufzuspannen. Bei Genuss verleibt sich das Publikum die Darbietung einfach ein. Als Digestif dann noch ein Gläschen Sekt.

Der Bilderreigen auf dem Titelblatt rund um diese Klassifizierung verweist auf Ereignisse in Linz und Oberösterreich eines Wochenendes, konkret am Domplatz Philipp Hochmairs Jedermann-Solo, das Bruckner Orchester in Gmunden, Uriah Heep und Deep Purple auf Burg Clam, Wanda an der Donau in Linz und Operette in Bad Ischl.

Ich sehe fünf Bilder, Dokumente von „Genuss“ und dazu kristallisiert sich aus der Wieder-Lektüre von Peter Brooks Vorlesung über „Das tödliche Theater“ in meinem Gedächtnis der Satz vom „tödlichsten Element“, welches „bestimmt wirtschaftlicher Natur“ ist, sagte und schrieb Brook vor mehr als vierzig Jahren zwar über New York. Rasch geprobte Produktionen meinte er damit, ohne experimentellem Ausloten von Tiefe; Ware, die geliefert werden muss. Das Quintett Beispiele aus dem vergangenen Wochenende möge sich nun darin gefangen sehen, egal, es hätten auch fünf andere Events sein können. Der Warenkorb im Sommer ist viel- und darin einfältig zugleich.

Gerade vollzog ich in der Brook-Lektüre neuerlich seine Experimente mit der Wechselwirkung zwischen Bühne und Publikum nach, seine Beobachtungen über Stimmungen aus dem Publikum, die in eine Inszenierung hineinwirken. Ich begegnete in seinen Sätzen wieder seinem Sinnieren über den Beruf des Schauspielers, dessen Versinken in erlernten Formen, auch seine Bequemlichkeit darin, der Verlust des Suchens nach den tieferen Schichten eines Stoffs im Spiel. Nichts für ungut, Herr Hochmair! Das mag Sie streifen. Oder auch nicht. Ich mag das, was Sie machen. Aber es ist erwartbar. Es hat schon auch einen sehr großen Wiedererkennungseffekt, Sie sind (sich) Ihre eigene Marke.

So wie auch Brook will ich nicht Zensor sein, gar sagen, was auf Bühnen sein darf und was nicht. Jedes Theater, jedes Geschehen auf einer Bühne hat seinen Platz, es nimmt ein paar Stunden öffentlicher Zeit in Anspruch, und in dieser Zeit geht es darum, „Sekunde auf Sekunde eine Fülle lebendigen Materials von unglaublicher Reichhaltigkeit zusammenzuballen“ (Peter Brook). Im allerbesten und meiner Meinung nach immer selteneren Fall ist das dann von einer Strahlkraft, im Theater, im Konzert (ein Beispiel), die uns so anzieht, dass wir zu dieser Bühne müssen, um mit dem Geschehen auf ihr in Beziehung zu treten, um im fein austarierten wechselseitigen Kommunizieren zwischen Darbietenden und Zusehenden oder Zuhörenden tiefe Erfahrungen zu machen.

Mir scheint, diese Sogwirkung ging in den Pandemiejahren verloren – nein, nicht wegen der Schließungen von Kulturstätten. Die reproduzierende, die darstellende Kunst wirkt so abgeschliffen. Das Musical fände auch in der Krise sein Publikum, das Schauspiel nicht. So lautete vor wenigen Tagen in unserer Region eine andere Hypothese. Ich weiß, das liegt auch am Schauspiel selbst, hier in diesen geographischen Breiten, in denen ich lebe und arbeite. Es ist so gefällig geworden. Als solches ist es sehr nah dran an dem, was Brook tödlich nennt. Oder die Oberösterreichischen Nachrichten kulinarisch „Genuss“, leicht einverleibbar.

Beides ganz normal ein Phänomen von sogenannter Sommerkultur und jenem Bühnengeschehen, das man ihm zuordnet: Irgendwie dehnt sich dieses ganzjährig aus und raubt dadurch der Kunst und dem Experiment Raum. Ein Problem ist das ganz sicher, tendenziell wächst es zu einer Kunst-Krise.

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