Das Reden über etwas, was man nicht selbst gehört hat, nennt man Hörensagen. Wie bezeichnet man dann ein Reden darüber, was man gehört hat? Sagenhören? Ach was, kein Reden, kein Sprechen, hier geht’s ums Schreiben. Nach Ludwig Wittgenstein gilt ja das Axiom, dass man darüber schweigen soll, worüber man nicht sprechen kann. Analog hieße dies, auch nicht zu schreiben, worüber man nicht schreiben kann. Über Musik beispielsweise, diese universale Weltsprache, niemals auch nur annähernd adäquat in andere Kodierungen übersetzbar, schon gar nicht in ein Code-System von Wörtern.
131 Tage lang musste sich ein interessiertes Auditorium ans Hörensagen und all das Geschriebene halten, was Journalisten, Begleiter auf social-media-Plattformen und die Videoreporterin auf YouTube von der Amerikatournee des Bruckner Orchesters Linz und dabei insbesondere von der Uraufführung von Philip Glass‘ Symphonie Nr. 11 berichteten. Wir erinnern uns, und zwar in filmischer Form:
Seit dem 132. Tag, konkret dem 12. Juni 2017, zählen sich einige hunderte Zuhörer nun zu „Sagenhörern“ der Symphonie Nr. 11 in drei Sätzen. Dennis Russell Davies als Kurator des Festivals Neue Musik im Brucknerhaus Linz (Oberösterreich) setzte ihre europäische Erstaufführung gezielt als Schlusspunkt. Thema des abschließenden Konzerts: die Geduld. Nach der Uraufführung einer Patience für Klarinette, Timpani und Orchester, komponiert von Werner Steinmetz für die eigenen Kollegen im Orchester, und dem spröden Konzert für Violoncello und Orchester von Isang Yun, einem Werk nach Hafterfahrung, in dem das Ich des Komponisten im Cello (Solist: Matt Haimowitz) Ausdruck findet, zeigten sich bei Glass die repetitiven Momente der Minimal Music in Brillanz. Ich liebe vor allem jene Stellen, an denen sich die Töne quasi überschlagen. Und ich mag die Verspieltheit, wenn und wie die Klangwasserfälle durch die verschiedenen Instrumentengruppen des Orchesters fließen.
Von Glass wird erzählt, dass er den Klang des Bruckner Orchesters Linz um einiges weicher und darin emotionaler empfindet als jenen amerikanischer Orchester. Dass hier ein Klangkörper mit Präzision, zugleich aber viel Herz und Empathie an die musikalische Erzählung herangeht, was im Dirigat von Dennis Russell Davies energetisch wächst, beweist sich im furiosen dritten Satz, in dem Glass für das Schlagwerk komponierte, wie man es in seinem Oeuvre kaum zuvor hören durfte.
Ich hätte nach dem fulminanten Ende, von einem unglaublichen Glück beseelt, nun vorerst zu jenen wenigen zu gehören, die die Symphonie Nr. 11 im Konzert erleben durften, sie sofort wiederhören wollen. Da capo? Ich hoffe zumindest – abgesehen von meinem innigsten Wunsch, dass diese Symphonie von Philip Glass viel Aufführungspraxis finden möge – auf einen Tonträger des Bruckner Orchesters Linz.
Quelle Video: https://www.youtube.com/watch?v=bPOjOL54ec4
Kategorien:Musik
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