Fort- und Weiterbildung sind essenziell, man pflastert sich den eigenen beruflichen Weg mit wertvollem Know-How, um voranzukommen. Ganz wesentlich dabei: Gerade im pädagogischen Beruf erweisen sich die soziale Interaktion im Kreis von Kolleginnen und Kollegen und dabei vor allem der Erfahrungsaustausch als unerlässlich.
„Wo warst du? Ich habe dich lange nicht mehr gesehen“, fragt dich nach ein paar Tagen Abwesenheit Kollegin oder Kollege im Konferenzzimmer. „Auf Seminar“, sagst du wie eine geheimnisvolle Zauberformel, lächelst zufrieden, was dir leicht fällt. Denn das Seminar hat dir deine Leistungsbatterien wieder hervorragend aufgeladen.
„Auf Seminar“ zu fahren, bedeutet ja auch immer den Umstieg in eine Welt der Servicierung eines Seminarhotels, in Verhaltensrituale eines Seminar-Sets. Beides vermisse ich in unserer Gegenwart. Denn wenn ich in diesen Tagen zur Fortbildung anreise, besteht der Weg lediglich aus den Schritten aus zuvor noch rein privat genutzten Räumen, etwa der Küche, in mein Arbeitszimmer. Ich schalte meinen Laptop ein und betrete via Teams, Zoom oder Skype meinen Seminarraum.
Die Erwartungshaltungen an einen Seminarbeginn sind vorerst gleich, Kennenlernrunde. Dafür hätte ich mir auch, im Vorbeigehen an meinem Papier- und Kartondepot (fixer Bestandteil jedes privaten LehrerIn-Arbeitszimmers) mit raschem Griff zu Material, einmal gefalzt, und Stift mein Namenskärtchen gebastelt und meinen Vornamen darauf geschrieben. Im kollegialen und in der Seminarwelt nach rascher Vereinbarung ohnedies immer gebräuchlichen „Du“ hätte ich den anderen dadurch das Ansprechen von mir mit „Peter“ leichter machen wollen. Wir sind ja gerne einmal zwanzig bis dreißig und da brauchen die Kurzzeitgedächtnisse aller ihre Zeit, um jeden Vornamen gut speichern zu können.
Nun steht das vorsorglich gebastelte Selbstidentifizierungsutensil nebenbei. Es vors Kameraauge des Laptops zu halten, wäre wohl so etwas wie eine Geste des Widerstands. Diese würde die Grenze zwischen analoger und digitaler Seminarwelt markieren. Will man nicht dazu gehören? Ist man Online-Seminar-Gegner, oder gar -Leugner? Immerhin hat das Videokonferenzprogramm schon bei Einwahl die Eingabe meines Namens verlangt. Ich blieb beim echten, wenngleich ich aus anderer virtueller Konferiersituation alles kenne, was zurzeit als nick names gerade „in“ ist. Auch die kleine Begrüßungssüßigkeit, mit der eine Referentin oder ein Referent im physisch realen Seminar-Set die Mitmachbereitschaft zu aktivieren versteht, halte ich aus der hauseigenen Schoko-Lade für mich bereit. Hier, im Online-Seminar, erfolgt die Erstkontaktaufnahme mit der nüchtern-pragmatischen Fragestellung des Trainers: „Kannst du bitte die Kamera einschalten, damit ich dich sehe?“
Überhaupt lösen Seminare im Netz ganz eigene Ebenen von Meta-Kommunikation aus, in der Wortmeldungen, die stumm bleiben, von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ob nun als Audio oder im Chat, mit der Aufforderung „Mikro!“ anmoderiert werden. Das zum Handeln auffordernde Verb „einschalten“ wird dabei unterdrückt. Dafür trägt das Wort „Mikro“ ein Tonfall, der fadisiert Kritik an der technologischen Unzulänglichkeit der oder des Sprechwilligen formuliert. Zu den Standardsätzen gehören „Bitte lauter sprechen, man hört dich nicht!“ oder „Da ist noch eine Hand oben!“ Zumeist folgt darauf ganz rasch der Satz des Gastgebers, der über höhere (administrative) Mächte (in der Software) verfügt und darum die Erkenntnis über die „Hand oben“ so quittiert: „Ich gebe dir deine Hand wieder runter!“ Möge dies niemals zurück ins reale Seminar-Set-Leben finden, wenn Trainerin oder Trainer dann im Raum wie bei einer kinesiologischen Übung gehobene Hände für Wortmeldungen tatsächlich „handgreiflich“ wieder an den Leib der Mitarbeit-Motivierten drücken.
Nach neunzig Minuten im Set, das online methodisch eingeschränkt bleibt, gönnen wir uns eine Pause. Ich habe in meiner Küche vorgesorgt, Kaffee, Obst, Wasser, Saft, ein wenig Brot und Käse bereitgestellt. Man könnte auch sagen, dass ich mein Frühstück nicht aufgeräumt hätte. Was stimmt, aber nun passt der Tisch als Seminarpause. Ich ertappe mich in der Suche nach einem Bastkörbchen, in das ich ein paar Euros als meine Seminarpauschale für die Verköstigung legen möchte. Die Pause ist noch nicht ganz zu Ende, da greife ich zu einem Blatt Papier, auf das ich die Planung für mein Mittagsmahl schreibe. Neben diese Notiz setze ich meinen geraden Kugelschreiberstrich. Ja, genau dieses Menü wähle ich. Ich werde es mir in der Mittagspause natürlich selbst zubereiten.
Foto: Begrüßungssüßigkeit fürs Online-Seminar #notspons