Im Sommer 2020 kündigte das Theater Phönix in Linz (Oberösterreich) seinen Spielplan für die nunmehr (naja, zugegeben, ein Euphemismus!) „laufende“ Saison an. Darin ein Titel und ein Termin, beides ein Segen für den Karl-May-Liebhaber: „Winnetou eins bis drei und am Ende stirbt Karl May“, Premiere am 17. November. Wir wissen alle, was Mitte November 2020 war; schon vierzehn Tage zuvor und seither weiterhin, Ende nicht absehbar, sind alle Kulturstätten geschlossen. Das kleine Kugelding, diese lästige Rampensau, besteht unbeeindruckt von allem auf seinen alleinigen großen Auftritt.
Das Projekt behielt seine Sogwirkung auf mich, der ich mit der Karl-May-Lektüre aufgewachsen bin. Keinen Kilometer hatte ich vom Wohnort meiner Jugend zur nächsten Filiale der städtischen Büchereien. Dort stand die Karl-May-Leseware meterweit und ich arbeitete mich durch. Dann waren da noch die verregneten Sommerferientage. Gab es Schlechtwetterbotschaft, warf das österreichische Fernsehen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre sein Programm schon am Nachmittag um 15 Uhr an und sendete da mit Vorliebe die Karl-May-Verfilmungen der sechziger Jahre.
Die Theaterproduktion, für die Lisa Fuchs und Regisseur Erik Etschel das Buch geschrieben haben – nunmehr seit 19. Februar 2021 als Stream von zu Hause aus den virtuellen Theaterbesuch mehr als wert – erobert sich den Stoff in einer Form von historischem Dreitakt. Winnetou eins ist Western-Theater auf quadratischer Bühne (Design: Thomas Kurz, Kostüme von Elke Gattinger), eingerahmt von einer Modelleisenbahnspur, auf der das kleine Feuerross mit seinem Kamera-Tender vorab durch eine künstliche Wüstenlandschaft fährt. Da stirbt dann der Grizzly en miniature unter den Stichen Old Shatterhands, dem Alter-Ego von Karl May, besetzt mit einer Frau, darum Erzähler und Erzählerin, Held und Heldin. Regisseur Etschel lässt die wunderbare Wiltrud Schreiner Phase für Phase in dieser Trilogie die Fiktionen aufrollen, die dem Autor(inn)enkopf entspringen. Dass ein Cowboy mit einer literaturkritischen Lästerzunge (mit sehr bekanntem sprachlichen Idiom!) über Abenteuer schimpft, die der Autor nur vorgibt, selbst erlebt zu haben, jeder Roman folge der gleichen Schablone, gehört zu den gepflegten Kalauern einer Inszenierung, die sich im ersten Teil dem epischen Theater verpflichtet zeigt. Die Akteurinnen und Akteure erzählen, nehmen referenzielle Perspektiven ein.
Die Kamera ist wohl auch schon Teil jener erarbeiteten Inszenierungsfassung gewesen, die Mitte November in das Theaterhaus selbst hätte gehoben werden wollen. Die Bildregie würdigt, dass es sich um einen Theaterabend handelt, in der Totalen sehen wir leere Zuschauerreihen. Zugleich sind uns im Stream Perspektiven gegönnt, die den epischen Effekt betonen, die Bühne von oben, die von eigener Schauspieler/in-Hand geführte Kamera bringt große Gesichter, Szenen auch backstage. Da hat sich ein Interpretationspfad präzise weiterführen lassen und auch mit dem Ebenenwechsel der Geschichte quasi Blutsbrüderschaft geschlossen.
Denn Winnetou zwei spielt nach etwas mehr als 50 Minuten dann auf dem red carpet der Filmwelt und arbeitet die Ellbogentaktiken des nach Ruhm und Anerkennung strebenden Casts heraus. Wenn man schon May vorhielt, nie in Amerika gewesen zu sein, um dennoch darüber phantastisch zu schreiben, wurde ja in den Verfilmungen der sechziger Jahre der Karst von Dalmatien (dazumals noch Jugoslawien) zum Wilden Westen. Lug und Betrug, Selbstinszenierung und -darstellung, heute die Welt des Fakes, es erscheint wie eine in sich voranschreitende Logik, exemplifiziert am wohl populärsten Abenteuerschriftsteller des 19. Jahrhunderts.
Das Spiel des insgesamt sechsköpfigen Ensembles, in dem jede und jeder sich in einer Vielzahl von Rollen zeigen kann, fasziniert mit einer Fülle feinsinniger Details. So wird der man bun bei Martin Brunnemanns Winnetou zur Indianerfeder und sein Haar übers Gesicht geworfen spielt er auch Winnetous Schwester Nscho-tschi. In Teil zwei brilliert er mit einem gut bekannten Song in einer Art Nick-Cave-Version. Gilbert Handler hat die musikalischen Arrangements beigesteuert und nutzt bei Sven Sorring, der den Filmregisseur Harald Reinl als schmierigen Patriarchen zeigt, sein Musikertalent: Als Sam Hawkins spielt Sorring auch E-Gitarre. Nadine Breitfuß, Anna Maria Eder und David Fuchs wirbeln von den kräftigen Cowboystiefelschritten, aufgezogenen Nasen, zurechtgerückten Mantelkrägen über altersweise Apachen, Filmdiven, angetippten Reminiszenzen an Klaus Kinski und Terence Hill bis zur aufgeregten social-media-society, die ihre Auf- und Erregung über die „may-world“ aus der Setzkastenisolation des Bühnenbilds für Winnetou drei hechelt. Dass und weil Karl May, der „verfluchte Schöpfer“ (so Winnetou in dieser Szene) am Ende stirbt, wird quasi zur conditio sine qua non der sich hochschraubenden Abenteuerexzess-Spirale.
„Winnetou eins bis drei und am Ende stirbt Karl May“ postuliert in den dürren Zeiten darstellender Kultur im realen Bühnenraum, dass es in der Pandemie Raum und Zeit und künstlerische Formen für Theater geben kann (welche freilich die Unmittelbarkeit des Erlebens vor/mit Publikum niemals ersetzen können wird). Der Stream setzt auch einen sehr wichtigen kulturpolitischen Akzent. Dieses kleine kugelrunde Greenhorn mit seinen Spikes kann Theater doch nicht unterkriegen. Es wird gespielt, gestreamt und auch das eine wichtige Botschaft – es kostet Eintritt, wenig zwar, der Preis liegt im Bereich einer Kinoeintrittskarte. Kunst und Kultur haben auch eine wirtschaftliche Seite. Ihr Funktionieren sichert wesentlich die Zukunft unserer Kultureinrichtungen.
Bucht euch auch darum um neun Euro in den 100-minütigen Stream! Via oeticket.com bietet das Theater Phönix Linz „Winnetou eins bis drei und am Ende stirbt Karl May“ bis 21. März 2021 an.
Foto: David Fuchs als Indianer, Martin Brunnemann als Winnetou am projizierten Marterpfahl, rechts vorne vor der Kamera und darum übergroß auf der Leinwand Wiltrud Schreiner als Karl May/Old Shatterhand – Copyright by Theater Phönix Linz/Helmut Walter
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