Theater

Der österreichische Weg im Widerstand

Was mir sogleich sehr gut gefiel: Eine Inszenierung von „Der Bockerer“ von Ulrich Becher und Peter Preses, die am Abend eines österreichischen Nationalfeiertags (26. Oktober) Premiere hat, verspricht viel. Die Terminwahl allein zeigt eine politische Haltung. Der im Schloss Ennsegg in Enns (Oberösterreich) im Kellergewölbe agierende Verein „Theater Sellawie“ fällt in der Region schon seit einigen Jahren mit engagierten Produktionen auf.

Mit dem Griff zu einem Kult-Stück legte man sich die Latte ordentlich hoch. Immerhin handelt es sich dabei um einen Stoff, der beim Publikum allseits gut bekannt ist. Das zeigte der unmittelbar nach dem letzten Satz einsetzende Applaus. Ein österreichisches Publikum kennt hier die Literatur so genau, dass es weiß, wie dieser lautet: „Ihr Blatt, Herr Rosenblatt!“. Die Bekanntheit des Stoffs rührt aber auch von der Interpretation der Titelfigur durch einen Schauspieler her, Karl Merkatz. Er spielte den „Bockerer“, den Fleischhauer aus dem vierten Wiener Bezirk, in den Verfilmungen durch Franz Antel. Da wurden Figur und Interpret eins, was es schwierig macht, als Schauspieler bestehen zu können. Thomas Zimmermann, der den Bockerer in Enns spielt, kann es aber. Und wie! Er hat am großen Vorbild den Tonfall, die Artikulation, das Raunzerische des Wieners gut studiert und macht aus dem Fleischhauer dennoch eine ganze eigene feine Charakterstudie.

_ND55123„Der Bockerer“, das ist ein Volksstück über österreichischen Widerstand; „Der Bockerer“, das ist eine Titelfigur mit sprechendem Namen in guter Tradition nach Nestroy. Er bockt, stellt sich also gegen die Despotie des Nationalsozialismus, der 1938 in Wien ankommt und das Leben des Fleischhauers ordentlich durcheinanderbringt. Sein Sohn Hansi läuft mit der SA mit, seine Frau, „das Binerl“, putzt sich für den Claquerinnen-Glanz in den Aufmärschen und Paraden auf. Der rote Hermann, ein „Spezi“ (Freund), wird verraten. Karl Bockerer leidet am System und er muss Opfer ertragen, den Tod des Freundes, den Tod des eigenen Sohns. Darüber rettet auch die Weinseligkeit nicht hinweg, in der er mit seinem Freund, dem pensionierten Postoffizial Hatzinger, sein Leben und die herrschende Politik philosophisch zu bewältigen sucht, mit diesem Freund, der wie eine allegorische Figur erscheint: nur wer gern ins Glas schaut und dabei ungern einen trockenen Glasboden sieht, entzieht sich und sein Leben dem Schicksalsschlag. Es wird ein Wein sein, und mir (=wir) werd´n nimmer sein, heißt es im bekannten Lied.

Im Ennser Schlosskeller hat sich der Theaterverein mit Sebastian Anton Maria Brummer einen Szeniker mit Gefühl für die Taktung der Szenen gesucht. Er stellt das Geschehen auf ein verzerrtes Hakenkreuz, das den Figuren ein Wegsystem stellt, ob nun die Wiener Gassen oder Innenräume wie die Wohnung der Bockerers oder das Gestapo-Hauptquartier. Zwei Monitore lassen fürs Publikum zu, Geschehen hinter den Wänden wahrzunehmen. So blickt man auf dem einen in „Binerl“ Bockerers Küche, auf dem anderen erscheint Gassengeschehen im Dunkeln. Das perspektivisch verzerrte Gesicht des alles überwachenden Rayoninspektors Guritsch (gespielt von Gerhard Schürausz) in der Kameraperspektive, als betrachte man ihn durch einen Türspion und er uns vice versa, wird zum Sinnbild von allem Spitzeltum.

Für „Der Bockerer“ braucht man charismatische Darsteller für die tragenden Rollen und ein stimmig agierendes Ensemble für die vielen kleinen Chargen. In Enns stehen für die ersteren neben Thomas Zimmermann Petra Kamptner als sein „Binerl“, Kurt Engelmann als Hatzinger, Franz Rosenthaler als Herr Dr. Rosenblatt und Franz Leithenmayr als Eisenbahner Hermann. Für die anderen zählen feine inszenatorische Ideen, wie etwa die Überwachenden als sogenannte „Unauffällige“ in Szene zu setzen, Frauen in Mänteln und mit tief in die Stirn gezogenen Hüten. Diese geschliffenen szenischen Nuancen machen diese „Bockerer“-Interpretation sehr groß.

Die Einladung zum Besuch steht also, Aufführungen gibt es bis 23. November 2019, detaillierte Informationen finden sich hier.

Bild: Unauffällige Überwacherinnen (links: Sabine Wimmer; rechts: Erika Tischberger) kontrollieren Karl Bockerer (Thomas Zimmermann) – Foto: Peter Kainrath/mit freundlicher Genehmigung des Theaters Sellawie Enns

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