Der österreichische Schriftsteller Peter Handke erhält 2019 den Literaturnobelpreis. Diese Entscheidung überrascht, freut, verblüfft, irritiert zugleich. Aus meiner ganz persönlichen Perspektive rührt sie mich auch, denn das allererste Taschenbuch, mit dem ich mir in der Entwicklungsstufe meines Lesens den Ausstieg aus dem erkaufte, was der Buchmarkt an sogenannter „Brückenliteratur“ (Übergang von Kinder- und Jugendliteratur zu den Schätzen der Weltliteratur von Anbeginn bis heute) bereit hält, war „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“.
Wenn man so als 14jähriger in den Buchhandlungen von Linz (Oberösterreich) die Buchständer mit der „richtigen“ Literatur inspizierte, vorausgesetzt das Personal schaute einen nicht schief an und verunsicherte einen darum noch mehr, galt als Entscheidungskriterium zugegebenermaßen weniger die Kenntnis um Autor und Text, sondern die Zugkraft des Titels und auch das dazumals unverkennbare Design der Suhrkamp-Taschenbücher, die Bauchigkeit der gewählten Schriftart am Cover, im konkreten Fall noch dazu in der Farbe Orange gehalten. Die siebziger Jahre hinterließen ihre hippen ästhetischen Spuren und der Soziologe Gerhard Schulze („Die Erlebnisgesellschaft“) hätte an mir als empirisches Fallbeispiel seine wahre Forscherfreude leben können. Denn mir war dieses mein erstes Suhrkamp-Taschenbuch natürlich vorrangig alltagsästhetisches Attribut, ein Erlebnisangebot. Gelesen habe ich es freilich auch. Und gefangen nehmen von der elegischen, episch breiten Sprache des Autors ließ ich mich erst recht. Da macht einer schon in seinen ersten zwei Sätzen klar, wie er die Wirklichkeit schreibend fasst:
Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, daß er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, daß bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Baugelände.
Der elegante Schwung dieses Schreibstils zeichnet eine Figur, der man im realen Leben nicht zumuten wollte, ihre Gedanken in dieser Weise durch einen auktorialen Erzähler zum Ausdruck bringen zu lassen. Mich faszinierte dies und ich las es bei Peter Handke lange Zeit immer wieder (ich lasse hier bewusst sein dramatisches Werk beiseite, bleibe bei der Prosa): Ich halte „Der Hausierer“, „Wunschloses Unglück“, „Langsame Heimkehr“ oder „Die Wiederholung“ für die stärksten Zeugnisse seines literarischen Schaffens. Ich begann bei „Die Geschichte des Bleistifts“ erstmals, mich sehr durch die Handke-Lektüre zu bemühen und muss zugeben, dass ich mit seinem späten Prosawerk so überhaupt nicht mehr zu Recht komme. Das kann aber auch an mir liegen, dass ich mein Maß an einer lesenden Genussbewegung durch die leicht dahin geflochtenen Sprachgirlanden, diese geschriebene Spiegelung des immer so leise verklärenden Sprechens von Peter Handke, ausgeschöpft habe. Vielleicht ist es einfach genug. Es kann allerdings auch überdeckt sein von jenem Bruch, den er mit mir und ich mit ihm vollzog, als er – in den Fakten für mich weiterhin nicht verständlich – in den Wirren des Balkankriegs „Gerechtigkeit für Serbien“ verlangte und dieser Verirrung in der Einschätzung des Aggressors noch eines drauf setzte, als er 2006 am Begräbnis von Slobodan Milosevic teilgenommen und dort eine Grabrede gehalten hatte.
Dass darum jetzt nicht nur aus der Region, Albanien etwa, Bosnien-Herzegowina und Kosovo natürlich, Protest gegen die Vergabe des Literaturnobelpreises 2019 an Peter Handke kommt, liegt auf der Hand, genauso wie das Ermessen der Jury, die sich sehr spät ehrend darum kümmert, dass Handke in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts für das Erzählen an sich eine Dimension in der deutschsprachigen Literatur öffnete, wirksam nicht nur für sich. Im Aspekt sowohl des verinnerlichenden Schreibens als auch des Sprachreflexiven an sich liegt seine Bedeutung. Oder richtiger: lag sie. Dafür gebührte ihm der Nobelpreis schon lange. Dass dieser nun 2019 seine politische Unterstützung für ein Menschen abschlachtendes Regime Ende der neunziger Jahre am Balkan legitimieren mag, halte ich persönlich für unerträglich.