Gegen Ende des Ausstellungsrundgangs durch „The Beatles Story“ in den Albert Docks in Liverpool überkommt mich die Emotion. Für die Zeit nach der Trennung, für Leben, Werk, Wirkung eines jeden der vier Beatles installierte man in einem großen Raum Ausstellungskojen, so als wendeten sie sich voneinander ab. In Bildern, Zitaten und einer chronologischen Übersicht wird gezeigt, welchen Weg Ringo und Paul seither gehen, George und John gegangen sind. Ich stehe bei John Lennon, ich bekomme nasse Augen.
„War John Lennon nicht ein Idol für Mama?“, fragt mich Tochter Mila, ich bestätige. Und füge hinzu, „so sehr, dass sie ihm auch literarisch ein Denkmal gesetzt hat.“ Da die Tochter ganz cool dazu steht, die Bücher ihrer Mutter nicht gelesen zu haben, sie sortiert sich ihr Werk nur nach Coverfarben, hier also „das dunkelrote“, will sie von mir nun doch das Kurzreferat zu „Marathon“.
Ich erzähle über die Entstehung, den literarischen Wettstreit zwischen zwei Autoren, Sven Daubenmerkl und Elisabeth Vera Rathenböck, seit der gemeinsamen Zuerkennung der Talentförderungsprämie des Landes Oberösterreich für Literatur 1999 (bis heute) freundschaftlich verbunden. Es ging darum, ob man heutzutage – und gemeint war damit das Jahr 2000 – noch einen Text in der literarischen Gattung Novelle schreiben könnte. Beide konnten. Elisabeth war schneller als Sven. Sven, der dazumals einen der in dieser Zeit sehr erfolgreichen oberösterreichischen Kleinverlage, die edition pangloss, führte, veröffentlichte ihre Prosa als Band 17 im Jahr 2001. Er selbst zog ein Jahr später mit „Vom Kriege“ nach, erschienen im Mandelbaum Verlag. Als „unparteiischer“ Zeuge dieses Dichterstreits kam mir die Rolle zu, beide Texte lektorieren zu dürfen. Ich erzählte Mila kurz den Inhalt von „Marathon“, und während ich das in Liverpool tat, beschloss ich, das Buch nach Jahren wieder zur Hand zu nehmen und neuerlich zu lesen. Ein Vorsatz, den ich in den Wochen nach unserer Liverpool-Reise umgesetzt habe, gefesselt von einem dichten Text, der wirkt wie guter Rotwein (nicht allein der Coverfarbe wegen!), gereift über die Jahre seiner Existenz.
In „Marathon“ geht es um einen Biografen, der sich im Majestic Building, am Central Park West, gleich benachbart zum Dakota, Johns New Yorker Wohnort, einquartiert hat. Wir schreiben den Spätherbst 1980. Der Biograf, der sich existenziell als Pilot über die Runden bringt und in Flugeinsätzen Pflanzenschutzmittel über Brasilien versprüht, bewegt sich in seiner Schreibaufgabe auf das Ende zu. Durch mit Fingern gespreizte Jalousielamellen späht er die Nachbarschaft aus, den Prominenten und seine Lebensgewohnheiten genauso wie eine Läuferin, die im Park ihre Trainingsrunden dreht. In dieser Ménage-à-trois projiziert die Autorin die Identitäten ihrer drei Hauptfiguren in die Stadt, in die Handlung, auch wechselnd übereinander oder in Träume, Visionen, Spiegelungen von Sehnsüchten, Begegnungen, die in der Handlung tatsächlich stattfinden – oder auch nicht. Thematisiert wird die Last, der Zwang, der Druck oder die lähmende Herausforderung in der Aufgabe, eine Biografie zu schreiben, der symbolische Marathon, den jemand auch darin läuft und der sich erst dann über die Ziellinie bringen lässt, wenn das Subjekt, dessen Leben erfasst wird, aus diesem geschieden ist. „Doch ein anderer, ein völlig Unbekannter kommt ihm zuvor …“, verrät schon der Klappentext. In ihrer Nachbemerkung schrieb Elisabeth:
Als John Lennon ermordet wurde, war ich 14 Jahre alt. Mit den Beatles habe ich begonnen, Rockmusik zu hören. Als eine jener Spätgeborenen, die 1968, im offiziellen Geburtsjahr der Flower-Power-Bewegung und Sexuellen Revolution noch Daumen lutschten, entdeckte ich erst gut zehn Jahre später in meiner Pubertät John Lennon als mein Idol.
Mir (Jahrgang 1967), in gleicher musikalischer Sozialisation wie Elisabeth, zog es am Morgen des 9. Dezember 1980 den Boden unter den Gymnasiastenfüßen weg, als ich (in meiner Familie war es üblich, beim Frühstück Radio zu hören) von der Ermordung von John Lennon erfahren musste. Genau das spürte ich wieder, am 19. Februar 2019 in „The Beatles Story“ angesichts der Würdigung von John Lennons Leben und Werk, unserem ersten Idol.
Die Novelle „Marathon“ verbuchte nach Erscheinen einen kurzen rasanten Erfolgsflug, in einer Zeit, in der Kleinverlage noch Chancen hatten, mit ihren inhaltlich und in Ausstattung qualitativ hochwertigen Buchprodukten in der Welt der Medien und ihren Verbreitungsmaschinen Platz und Resonanz zu finden. Wie geschrieben, der Text erschien 2001. Heute? Da gehört er schon zum Antiquariat.
Ich habe Elisabeth gebeten, und sie ist dankenswerterweise der Bitte nachgekommen, fünf signierte Exemplare von „Marathon“ zur Verfügung zu stellen: Für jene fünf ersten Follower meines blogs, die zu diesem post die Bedeutung von John Lennon für ihr Leben in einem Kommentar hier preisgeben. Das Buch kommt in Folge kosten- und versandspesenfrei ins Haus, Kontaktdatenmitteilung bitte via meine e-mail-Adresse, diese ist im Impressum zu finden.
Die Musik der Beatles war für mich als Kind und Jugendlicher die Musik, die mir eine Tür geöffnet hat. Mit den Songs der Beatles lernte ich Klavier spielen, Akkorde verstehen und Songs singen. Seit Jahrzehnten spiele ich die Songs in verschiedenen Bands und versuche, sie mir immer wieder in neuen Kontexten anzueignen: Blackbird als barocke Nummer verstehen, For no one als Jazztune (wie es Fred Hersch macht). Es gibt keine Band der Welt, die in so wenigen Jahren so viele verschiedene musikalische Einflüsse aufgenommen und in ihren Songs transformiert hat. Ich schreibe hier im Plural, wohl, weil erst die Zusammenarbeit dieser Jungs aus Liverpool dieses Werk ermöglicht hat, das seit Jahrzehnten von Jugendlichen der ganzen Welt als ihre Musik verstanden wird. John war wohl der intellektuelle Part im Quartett, seine absurd-witzige Seite habe ich (in Übersetzung) in seinem Buch „in meiner eigenen Schreibe“ kennen gelernt. Seinen Song Imagine habe ich schon hunderte Male gespielt – bei Bällen, Hochzeiten, Parties, als Jazzstandard.
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Bei mir waren es eher die Texte, die wir in der Schule interpretiert haben. Dadurch habe ich gemerkt, welche Bedeutung die Texte der Beatles hatten und genauer hingesehen.
Aufgrund meines Alters hatte John Lennon weniger persönliche Bedeutung für mich – die Texte allerdings schon.
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