Expedition Leben, Logbucheintrag am 23. April 2017: Zum 18.263sten Mal ging heute in meiner Expedition Leben die Sonne auf. Ein Tag wie ein anderer, kein Tag wie ein anderer. Wien läuft heute Marathon, Frankreich geht in Runde eins der Präsidentenwahl, „Fifty Shades of Grey“ im Fernsehhauptabendprogramm. Georgiritt, Welttag des Buchs, Shakespeares Geburts-, auch Todestag.

Ankunft in einem Alter „der guten Mitte zwischen Erfahrung und neuer Energie für das, was zu tun ist“ (Elisabeth Vera Rathenböck) – courtesy/Motiv: Röda
Ich überschreite wieder meine Zeitmarke. Schon eigenartig: ich erinnere mich wirklich ganz genau an jene beiden Tage, als meine Eltern in ihren Leben mein heutiges Alter erreicht haben. Das liegt wohl an der Magie der Zahl, die auch verführt, in den Spuren zu lesen, die man hinterlassen hat. In der eigenen Sozialisation, in seinem Weg in Partnerschaft und eigene Familie, in das Erwerbsleben, Turbulenzen da wie dort. Wie man das gemeistert hat. Blick zurück, Blick nach vorne. Ein Fährtenlesen fürs Weiterkommen. Wohin möchte ich? Wer begegnet mir? Was fordert mich?
Rüdiger Safranski konfrontiert einen in seinem Buch „Zeit. Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen“ unbarmherzig mit dem Umstand, dass wir der gesellschaftlich bedingten Verknappung von Zeit aufsitzen, gehetzt sind von selbstgemachten Befristungen, die dann in Sätzen resultieren wie: „Ich möchte mir einmal Zeit für mich selbst nehmen“ (S. 108). Was kann dieser Satz? Eine Ansage treffen. Ihre Wirkkraft? Zumeist sehr bescheiden. Das kann am Modalverb liegen. Was heißt schon „möchten“? Wann ist das? Besser greift die Aussage mit dem Indikativ. Ich nehme mir Zeit für mich. Denn Sprache spiegelt Wirklichkeit. Ich nutze Zeit für mich. Wie heißt’s im Refrain der „Toten Hosen“? An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit, an Tagen wie diesen haben wir noch ewig Zeit. Campino dazu: „Das Lied ist auch unsere Reaktion auf diese ganze Nostalgie, die einem am Vorabend von so einem Jubiläum wie unserem 30jährigen Geburtstag entgegenschlägt. Wir waren immer eine Band, die in der Gegenwart lebt und nach vorne blickt. Letztendlich geht es auch darum, den Moment zu zelebrieren. So wie du mit einem Freund auf ein Konzert oder eine Party gehst und weißt, das ist ein Abend, ein Moment, der so vielleicht nicht mehr wieder kommt. (…)“.
So treffen die „Die Toten Hosen“ auf Augustinus,
der auf der Suche nach der Ewigkeit ebenfalls auf die Permanenz von Gegenwärtigkeit stößt, [er] lässt die drei Zeitdimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft letztlich auf eine zusammenschrumpfen, und zwar auf die Gegenwart, und dies in dreifachem Bezug: die Gegenwart des Vergangenen, die Gegenwart des Gegenwärtigen und die Gegenwart des Zukünftigen. Zukunft und Vergangenheit gibt es nur als vergegenwärtigte. Die Gegenwart bündelt die beiden anderen Zeitdimensionen in sich. Nach diesem Muster denkt Augustinus auch die Ewigkeit. Sie ist wie dasjenige am Leben, was nicht vergeht, und das ist eben die Stetigkeit von Gegenwart. Die jeweiligen Ereignisse sind vergänglich, das Gegenwarts-Fenster, durch das wir sie erblicken und erleben, bleibt. Insofern ist Gegenwart die kleine Ewigkeit. (Rüdiger Safranski, S. 228/229)
Ewig Zeit an diesem Tag. Stetig Gegenwart. Ewig Zeit an jedem Tag. Für mich.
Kategorien:Philosophie