Sprache

Und dann und wann ein Babyelefant

Zum schönen Brauchtum des frühen Advents gehört in Österreich, dass die Gesellschaft für Österreichisches Deutsch (GSÖD) mit Sitz in Graz das Wort, das Unwort, den Spruch, den Unspruch und das Jugendwort des Jahres kürt.

Dabei setzt man auf ein hohes Maß an Partizipation der interessierten Bevölkerung, lädt diese ein, ihre Favoriten zu nennen. In den Jahren 2019 und 2020 fiel das Ranking ohne große Überraschungen aus, beide Jahre kannten prägende Ereignisse, die sich in Wörtern mit anlassbezogener Semantik aufgeladen einen Ausdruck fanden, der wiederum gut verbreitet und angewandt worden ist. 2019 war das Wort des Jahres „Ibiza“, das Unwort „b´soffene G´schicht´“, beide entsprangen einem spät bekannt gewordenen Urlaubsvideo von der Baleareninsel. 2020 kommt als Wort des Jahres „Babyelefant“ zu Ehren, als Maß des gebotenen Abstands im Alpenland, als Unwort „Coronaparty“, als Unspruch der Satz des Bundeskanzlers aus dem Frühjahr  „Wir werden auch in Österreich bald die Situation haben, dass jeder irgendjemanden kennt, der an Corona verstorben ist“, der sich von der damals angstmachenden Parole nunmehr zu einer bitteren Spiegelung einer Wirklichkeit im Land gewandelt hat.

Ich habe mich aktiv an der Suche beteiligt und das Verb „freitesten“ als Unwort des Jahres eingereicht. Die Begründung, die aus dem Kreis der Sprachwissenschaftler formuliert wird, hätte lauten können, dass das Kompositum zeigt, wie sich der Freiheitsbegriff an eine Bedingung knüpft, nämlich das Testen, die Wortkreation steht somit für die Einschränkung unserer Grund- und Freiheitsrechte. Mir hätte ganz gut gefallen, wenn im Kreis der prämierten Wörter auch eines gewesen wäre, das diesem Aspekt der Pandemie Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Dass es als Spruch des Jahres „Schleich di, du Oaschloch“ geschafft hat, entschädigt: Die Phase der Nominierung von Formulierungen war zum Zeitpunkt des Terroranschlags in Wien (2. November) nämlich bereits vorbei bzw. konnte im Bereich Spruch gar nichts vorgeschlagen werden. Die zur Online-Abstimmung angebotenen Sprüche kamen noch ohne diese Vier-Worte-Weisheit der Wiener Befindlichkeit aus. Die Jury hat hier glänzend reagiert. Nicht zuletzt kommunizierte sich im Spruch des Jahres 2020 – vor allem auch präsent in der social-media-Kommunikation im Vergleich zu anderen Hashtag-Markierungen (wie z.B. #prayforlondon oder #jesuischarlie) – eine zutiefst österreichische Emotion und Reaktion auf Terror.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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