Die Ausstattung der Inszenierung „König Ödipus“ von Sophokles (Übersetzung: Peter Krumme) am Schauspielhaus des Landestheaters Linz (Oberösterreich) ist gewöhnungsbedürftig. Der Meister des Raumwürfels, Bühnenbildner Florian Parbs, hat den Boden mit Brettern zugelegt, Ergebnis eines Zerfalls; ungeklärt bleibt, was der Bretterhaufen gewesen ist. Dieses seltsame Mikado fordert das Ensemble. Als Requisite werden die Bretter nur fallweise genutzt; wenn, dann reichlich unmotiviert. Wenn dieses Terrain das tun soll, was den zwei Schauspielerinnen und sechs Schauspielern an Artistik beim Betreten abverlangt wird, dann läuft die Interpretation wohl darauf hinaus: Ein Schritt von Brett zu Brett kann unerwartete Hebelwirkungen auslösen, Stehen und Gehen werden labil.
Bei „König Ödipus“ gerät freilich etwas ins Wanken. Die Plastiksackvorhänge rundum rauschen weniger als das gleiche Material, das auch für die Kostüme Verwendung findet. Schutzkleidung oder Müll? Es werden Mundschutz und Einweglatexhandschuhe mit schwarzen Fingern getragen (Kostüm: Hanna Rode, Johanna Schraut). Die Haartrachten sind diesen Bürgern von Theben durch sichtbar geklebte Glatzen zurückgerutscht, das macht allen eine hohe Denkerstirn. Postapokalypse nach stilistischem Zuschnitt aus einschlägig bekanntem Filmgenre! Selbst der dreiarmig riesige Ventilator, der sich unaufhörlich über der Szene dreht, ist bandagiert.
Ja, die Pest herrscht in der Stadt. Nur die Aufklärung des Mords an Laios verspricht die Befreiung von der Seuche. Dazu krabbelt das Bürgergericht aus dem Keller unter dem Brettermikado, schält sich Rolle für Rolle aus dem dystopischen Modestyle von Müllsackplastik und Klebebändern, Kreon, Teiresias, Iokaste, der Bote, der Hirte, die Botin. Mit ihren Auskünften arbeiten sie am Puzzle der Wahrheit, die Ödipus kennen lernen muss.
Seltsam unterkühlt bleibt der in der Interpretation von Alexander Hetterle. Dann, als es ihn einmal heftiger fasst, steckt er den Kopf am Bühnenportal aus dem fiktiven Würfel des Spiels hinaus, übergibt sich, weint. Sonst zeigt er die Figur in Teflon-Ausführung. Es ist, als ob all das, was er zusammenfügen muss, einfach an ihm abperlt. Seine Entscheidung, sich das Augenlicht zu nehmen, bleibt unmotiviert. Seine Sühne lässt Glaubwürdigkeit vermissen. Der Gang ins Exil kann nicht anschließen an dem, was er als König zu Beginn dem zu überführenden Täter, also sich selbst, präjudiziert hat.
Ob Regisseur Peter Wittenberg dies mit seinem Hauptdarsteller tatsächlich so gewollt hat? Ödipus als gefühlskalter Politiker, der das Unglück anzieht, sich als Opfer sieht und darin erstarrt? Unglücksmann ruft ihn Iokaste, seine Mutter und seine Gemahlin, als sie erkennt, wie sich das Orakel von Delphi erfüllt. Die spielerischen Mittel des Titelhelden sind zu gering. Das Ensemble um ihn engt ihn mit brillanten Studien des Schwagers (Christian Higer spielt Kreon), des Sehers (eine famose Interpretation des Teiresias durch Sebastian Hufschmidt), der Frau und Mutter (Angela Waidmann als Iokaste), der Boten (Lutz Zeidler und Lorraine Töpfer) und des Hirten im Verhör (so still wirkt hier Betroffenheit, ganz großartig gezeigt von Helmuth Häusler) ein.
Zum Schluss legt der Ventilator, sich zur Spielebene senkend, an Geschwindigkeit zu. Als ginge es darum, all das, was da in der Luft gelegen ist, rasch zu verwirbeln.
Theateranekdote dazu: Mir ist „Ödipus“ sehr vertraut. Vor mehr als 30 Jahren wirkte ich als Statist an einer Inszenierung von Matthias Langhoff im Burgtheater Wien mit. Ignaz Kirchner spielte Ödipus, Gert Voss Teiresias, Kirsten Dene Iokaste. Langhoff wollte im Moment von Ödipus´ Entschluss, sich das Augenlicht zn nehmen, absolute Finsternis im Theater, um dem Publikum die Blindheit erlebbar zu machen. Notlichter dürfen im Theater niemals abgeschaltet werden, das war schon bei den Salzburger Festspielen und der Uraufführung von Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ (1972) Stoff für einen Skandal. Also engagierte man mehr als zwanzig junge Leute, darunter mich, die im Zuschauerhaus auf Stichwort mit Stangen und daran befestigten, mit schwarzem Samt umspannten Boxen die eingeschaltet gebliebenen Notlichter abdeckten. Der Satz unseres Einsatzes hat sich tief ins Gedächtnis gegraben, „Licht, dich seh´ ich zum letzten Mal“. Ich wäre bei der Premiere in Linz fast zum nächsten Notlicht geeilt.
Foto: „König Ödipus“ in Endzeitstimmung – Petra Moser/Landestheater Linz
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