In der zum dritten Mal verhängten Schließung von Geschäften (außer der notwendigen Basisversorgung), von Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, insbesondere auch von Schule und Universitäten, die wieder bzw. weiterhin zumindest bis Mitte Jänner in der digitalen Substitutionsform verbleiben müssen, zeichnet die österreichische Regierung neuerlich ein Bild von Gesellschaft, das die menschliche Würde sträflich vernachlässigt.
Bürgerinnen und Bürger dürfen in diesen Tagen hauptsächlich funktionieren. Das heißt: arbeiten gehen, Lebensmittel einkaufen, essen, schlafen, ein wenig spazieren, laufen, aber unbedingt allein.
In dieser Monotonie des Alltags bewegten wir uns bereits im Frühjahr 2020, dann nochmals im November und nun also zum dritten Mal. Das muss, das kann auch anders gehen, ohne Zugangsbeschränkungen namens „Freitesten“ oder „Eintrittstests“ oder sonstwie, trotz der Pandemie oder gerade wegen ihr. Es ist eine Frage des politischen Willens, der sich nur Auserwählten zuwendet, etwa den Schiliftbetreibern. Zuletzt war von der Impfung als „Game Changer“ die Rede. Das Bevorteilen einzelner Wirtschaftszweige führt erst recht zu einer gefährlichen Veränderung von Spielregeln, nämlich zu offensichtlicher Ungleichbehandlung, einem gesellschaftlichen Spaltpilz, der seit Heiligabend (Öffnung der Schigebiete) prächtig gedeiht.
Aber zurück zur Ausgangssituation: Mensch-Sein ist mehr als nur zu funktionieren. Wir wachsen an den Erfahrungen, die wir machen, wenn wir etwas erleben. Wenn wir anderen Menschen begegnen, uns mit diesen austauschen, miteinander sprechen, gemeinsam handeln. Wenn wir uns den Herausforderungen von Wissen, Bildung, Wissenschaft stellen, uns mit Kunst, dem darin Schönen, dem Provokativen, dem Unterhaltenden, dem Politischen und vor allem auch mit ihrem Widerstand auseinandersetzen. Wenn wir uns in Freiheit bewegen, weiter als im Rahmen der Vorschriften jener fünf Gründe, derentwegen wir die eigenen vier Wände verlassen dürfen, insbesondere auch über nationale Grenzen hinaus, und dann über Grenzen von Sprachen und Kulturen, um andere eben erleben zu dürfen und dabei die wertvollsten Erfahrungen überhaupt zu sammeln.
Das alles sind Bestandteile unserer menschlichen Würde. Zu ihrer Einschränkung sagt der Schweizer Philosoph Peter Bieri (unter seinem Pseudonym fürs Belletristische als Pascal Mercier wohl besser bekannt):
Es geht nicht um die Unterwerfung unter eine despotische Macht, sondern um Verzicht auf Freiheit zum gesellschaftlichen Nutzen. Die Formel ist: Freiheit opfern für das Gemeinwohl, das auch gut für den Einzelnen ist. Das ist die Logik, mit der man uns die Bevormundung zumutet. Entscheidend ist, dass sie uns in jedem einzelnen Fall erklärt wird und wir sie nachvollziehen können. Das respektiert unsere Würde als Subjekte: als denkende, verstehende Wesen, die sich gegen unverständliche, blinde Zumutungen wehren.
Peter Bieri: Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde, S. 40; Hervorhebung im Original
Wir sind in einer Zeit angekommen, in der wir weiterhin Maske tragen, Abstand halten, Hände desinfizieren und lüften müssen und zugleich aber genug von dieser erzwungenen, unverständlichen Genügsamkeit haben, als Statisterie in einem Lebensstil, der uns nicht erklärt wird, der vielleicht noch das Weltbild jener politischen Bewegung spiegelt, die die größere Partei in der österreichischen Regierungskoalition stellt. Dass der Juniorpartner diese nicht mehr nachvollziehbare, reduzierende Gleichmacherei immer noch tolerierend abnickt, inklusive Zugeständnisse an die Hegemonie der Lobbyisten (Stichwort Schilifte), ist der wahre Skandal.
Es handelt sich um Zumutungen, denn in der Zeit vor dem zweiten Lockdown, in seiner seltsamen zweistufigen Konstruktion von zuerst „soft“, dann „hart“, konnten Veranstaltungseinrichtungen (Theater, Konzertsäle, Kinos, Museen, Galerien, Bibliotheken) problemfrei bespielt und genutzt werden. Denn die jeweils Verantwortlichen hatten alle Auflagen der Regierung unter Konsultation von Expertenwissen und Einsatz nicht geringer finanzieller Mittel penibel umgesetzt.
Rund um den Pianisten und Dirigenten Florian Krumpöck entstand so eine Initiative, die die „grauenvolle Stille“ (in Anlehnung an eine Zeile aus Florestans Arie in Beethovens „Fidelio“) vor den Verfassungsgerichtshof bringen wird. Es geht darum, die Sperre aller Kultureinrichtungen in der Zeit des sogenannten soften Lockdowns (3. bis 16.11.2020) als falsch verordnet zu überführen. So der Verfassungsgerichtshof dem Ansinnen dieser Klage folgt, soll die Entscheidung eine andere Form von Prävention darstellen, die vor einem neuerlichen Schließen aller Formen von Kulturdarbietungen bewahrt. „Jede Veranstaltung fand in einem Hochsicherheitstrakt statt“, sprach Florian Krumpöck vor Wochen in der ORF-Sendung „Kulturmontag“ eine Wahrheit des Sommers und frühen Herbsts 2020 ganz knapp und gelassen aus.
Wir müssen nun also dem Florestan-Beispiel folgen. Die österreichische Regierung kann ihre Maßnahmen nicht mehr erklären oder nachvollziehbar machen. Pressekonferenzen und -aussendungen dienen vorrangig nur noch der Selbstinszenierung von Politikern. Sie treten inhaltlich auf der Stelle, bringen nur „more of the same“ und nicht nur mir geht es so, dass ich ihr Reden von den kommenden Wochen als den wichtigsten nicht mehr hören kann.
Dies bringt uns in unserem Mensch-Sein nämlich nicht weiter, keinen noch so kleinen Schritt.
Ja, wir sind weiterhin in einer Pandemie, sollten aber auch im Sinn der Neujahrsansprache des österreichischen Bundespräsidenten den Mut fassen, uns unter Nutzen der erprobten peniblen Präventionskonzepte nicht weiterhin in unserem Leben dermaßen einschränken und dabei unsere Würde nehmen zu lassen.
Foto: Ein bisschen blauer Himmel über dem Buchensteig/Nationalpark Kalkalpen, März 2020
Kategorien:Kunst, Politik, Soziales Handeln
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