Gesundheit

Die Macht der Maske

Eine Wienerin presst sich einen Schal vor Mund und Nase und beantwortet durch diesen die Frage des Reporters. Ja, sie habe Angst. Ja, sie musste nach drei Wochen wieder einmal an die frische Luft, sie brauchte Bewegung. Dieser kurze Fernsehmoment zeigt ein Dilemma auf, über das ich noch kritisch herziehen wollte, doch seit gestern Montag ist alles anders. Ich wollte die Halstuch- bzw. Schalvorspannerinnen und -spanner, die Schutzmaskenträgerinnen und -träger des Alltags kritisieren, die Sinnhaftigkeit ihres Handelns anzweifeln. Gerade von Letztgenannten sah ich in den vergangenen Tagen viele und ich dachte mir jedes Mal, wäre dein Mundschutz nicht besser dort eingesetzt, wo er wirklich gebraucht wird, in den Arztpraxen und Krankenhäusern und in allen Arbeitsbereichen von Pflege? Unlängst kam mir im Tiefgaragenausfahrtsverkehr in Linz (Oberösterreich) ein Kleinwagen entgegen, Fahrer und Beifahrer trugen Sonnenbrillen und Nase-Mund-Masken. Nur die Hüte fehlten für eine Blues-Brothers-Look-Alike-Qualifikation zu Corona-Zeiten.

Wer ab morgen Mittwoch in Österreich einen Supermarkt betritt, muss sich einen Nasen-Mundschutz als Einkaufseintrittskarte vors Gesicht spannen. Dabei galt bis zuletzt von den Experten aus Medizin, insbesondere den Epidemiologen, der Hinweis, das Tragen von Masken, nämlich jenen einfachen, die verbreitet im Umlauf sind, sei ohne Zweck. Das Virus durchdringe diese. Abstand halten sei die weitaus effizientere Maßnahme. Diese bleibt das Gebot der Stunde. Im Supermarkt meines Vertrauens begegne ich allerdings immer öfter einer Spezies, die ich ab sofort als „Kamikaze-Kundinnen“ klassifiziere. Sie stammt aus der Generation 80plus, ist bevorzugt weiblich, schleicht durch die Regallabyrinthe und pirscht sich an andere Kunden auf Distanzen unter einem Meter an. Catch me, virus, if you can! Es scheint so, als seien hier einige zu sterben bereit.

Die Maskentragepflicht ist eine Maßnahme der Regierung und wir werden sie pflichtbewusst befolgen. Sie setzt auch auf einen psychologischen Effekt. Sie gibt der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit. Zugleich kann sie zum Abstandsverzicht verführen. Was habe ich davon, wenn nun bei Lebensmitteleinkäufen neben mir ein schwer schnaubender CoV-Träger mit Mundschutz auf Tuchfühlung auftritt und durch sein Tüchlein hindurch oder seitlich hinaus verteilt, was auch durch mein Tüchlein (oder seitlich hinein) eindringen kann?

Nun sagen einige, es geht darum den Nächsten zu schützen, indem das, was man von sich gibt, sprechend oder hustend oder niesend im Mundschutz bestmöglich aufgefangen wird. So verstanden liegt fürs soziale Handeln in der Maskenpflicht die Gefahr in einer Stigmatisierung von jeder und jedem als Infektionstragenden, einer Generalverdächtigung sozusagen, das hat Entsolidarisierungspotenzial.

Die Macht der Maske liegt zudem auf einer Gefühlsebene, die kulturell bei uns in Mitteleuropa im Vergleich zum asiatischen Raum noch nicht entwickelt ist. Das Rechteck über Mund und Nase ist ein sichtbares Zeichen von Bekenntnis, nun noch mehr aufeinander achten zu wollen. Wir maskieren uns und zeigen damit, dass wir im COVID-19-Vorsichtsstatus leben, „schau auf mich, schau auf dich“ – so lautet einer der Slogans in Österreich. Wobei es beim Schauen dabei wenig Anreiz gibt, denn im Maskentragezeitalter anonymisieren wir uns zugleich, wir vermummen uns.

Mit dieser Art Sicherheitsgurt vorm Gesicht zeigen und zeichnen wir uns als eine Gemeinschaft, die im vereinheitlichen entindividualisierten Erscheinungsbild die Pandemie bewältigt und sich dabei skeptisch begegnen muss. Möge diese Übung tatsächlich auch faktische Bremswirkung auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus zeigen!

Foto: Pexels/Free Photo Library

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