Klima

Der ganz normale Wahnsinn

Gerade eben also wurden in Bukarest die Gruppen zur Fußballeuropameisterschaft 2020 ausgelost, einem Event, der in der geplanten Form – gespielt wird in zwölf Städten in ganz Europa (wobei Baku in Aserbeidschan quasi zum Kontinent adoptiert worden ist) – auf eine Idee des ehemaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini aus dem Jahr 2012 zurückgeht. Es gelte, damit das 60-Jahr-Jubiläum des Turniers zu feiern.

Vor etwas mehr als sieben Jahren wussten die ranghohen Fußballfunktionäre natürlich noch nicht, wohin sich der Strom der transnationalen Diskussionsprozesse lenken wird. Die Erzählung vom großen gemeinsamen Europa, das das Turnier ausrichtet, überdeckt sehr schlecht, dass man sich natürlich Stadien in Städten gesucht hat, die Größenordnungen an Besuchern vor Ort zulassen, wie sie ein Durchführungsland oder eine Organisationspartnerschaft (wir erinnern uns an 2008: Österreich und die Schweiz) niemals anbieten können. Wirtschaftliche Interessen über allem! Somit ist die Frage die: Werden wir glücklicher mit dem Umstand, dass nicht im großen Stil Infrastruktur errichtet werden musste? Denn diese Europameisterschaft wird sich als klima- und fanfeindlichste Sportveranstaltung der jüngeren Geschichte in die Annalen eintragen. In Baku und Budapest wurde übrigens sehr wohl neu gebaut. Am Beispiel Baku bleibend, weil die Stadt ja den weitesten Anreiseweg erfordert, hat das Stadion gemäß Quelle (Wikipedia) 69.870 Plätze. Ohne genau zu wissen, wie die UEFA die Kartenkontingente verteilt, wie viel davon der einheimischen Bevölkerung vorbehalten bleiben, um eine Europameisterschaft live zu Hause erleben zu können, füllt sich ein Stadion nur, wenn 388 (!) Airbus-320-Flugzeuge Menschen zubringen. Wir rechnen hier ein Spiel, es sind sechs Vorrundengruppen mit je sechs Spielen, acht Achtelfinal-, vier Viertelfinalpartien, zwei Semifinalspiele und natürlich ein Finale. 51 Spiele in Summe, etwa an die 20.000 Flugbewegungen also.

Die aktuellste Zahl an Flügen pro Tag über Europa, die ich finden konnte, gibt mehr als 36.000 Starts und Landungen an. Ließe sich damit argumentieren, dass die Europameisterschaft somit ohnedies nur ein Flugreiseaufkommen von etwas mehr als einer halben Tagesbelastung auslöst? Nein, Großereignisse sollten (Konjunktiv!) kraft ihrer stark und breit in die Öffentlichkeit strahlenden Wirkung Impulse setzen. Die britische Band Coldplay etwa veröffentlichte in der vorvergangenen Woche ein neues Album und verzichtet wegen der Klimakrise auf eine Konzert-Tournee zur Promotion: „Wir nehmen uns Zeit, um zu schauen, wie unsere Tour für die Umwelt von Nutzen sein kann“, sagte Frontman Chris Martin dazu der BBC.

Im Fußball, bekanntlich die zweitwichtigste Nebensache der Welt, zeigt man sich da herzlich unbekümmert. Die Europameisterschaft 2020 ist dazu ohnedies nur eine Ouvertüre. Zwei Jahre später spielt man in Qatar die Weltmeisterschaft, in insgesamt acht Stadien, fünf davon werden für das Turnier neu errichtet. Unter menschenunwürdigen Verhältnissen schuften Gastarbeiter, 44 mussten dabei bereits ihr Leben lassen. Die hohe Hitze im Sommer erforderte, das Turnier in den Winter zu verlegen, trotzdem werden die Stadien klimatisiert werden müssen. Über die Vergabemotive wurde bereits diskutiert und wird bestimmt noch viel zu sprechen sein. Abgesehen von interessanten Problemen mit den Sportterminkalendern dieser Welt, etwa mit der Spieltage-intensiven britischen Premier League, aber auch mit Wintersportveranstaltungen, beweist sich der Fußballzirkus innerhalb von drei Jahren zweimal als weltfremd. Dabei hätten FIFA und UEFA wie überhaupt supranationale Organisationen es mehr als Nationalstaaten in der Hand, zum Klimawandel produktive statt destruktive Beiträge zu leisten.

Oder kommt es wirklich so wie in einem meiner Lieblingswitze? Im Himmel. Jesus stürzt ins Büro von Gottvater. „Papa, wie lange willst du dir noch ansehen, was die Menschen mit der Erde machen? Wäre es nicht endlich Zeit für den Weltuntergang? Sie roden Regenwälder, sie verdrecken Flüsse, sie bauen alle Rohstoffe ab, sie nehmen den Tieren ihren Lebensraum …“ – „Beruhige dich, mein Sohn, ob sie wirklich 2022 in Qatar Fußball spielen, das möchte ich mir noch anschauen.“

Foto: Bei der Fußballeuropameisterschaft 2020 absolvieren Mannschaften, Betreuer, Funktionäre und Fans zahlreiche Flugreisen – Fotograf: tombeingpushed/Wikimedia Commons Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

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