Medien

Auf ein freies Wort

Irgendjemand Kluger sagte einmal, dass die Pressefreiheit bereits verloren geht, wenn man als Journalist zu überlegen beginnt, ob man schreiben dürfe, was man zu schreiben beabsichtigt. Da geht es also um die Schere im Kopf, die im Empfinden für ein politisches Umfeld schon viel früher schneidet. Nämlich schon bevor Einschränkungen zu greifen beginnen: Dies nimmt seinen Anfang, wenn Leute aus dem Umfeld politischer Akteure in Redaktionen anrufen und Anmerkungen treffen oder Fragen stellen, die inhaltlich selbst noch nicht explizit in die Medienberichterstattung eingreifen wollen. Schon der Versuch zählt am Schluss.

Mit social media, konkret dem Kurznachrichtendienst Twitter, kam und kommt jede und jeder in die Rolle, in einer Öffentlichkeit die Stimme erheben und Sachverhalte kommentieren zu können. Wobei gerade an dem Können im Sinn von Kompetenz gezweifelt werden darf: Technisch traditionell geführte Medienapparate, die in Bild, Ton, auf Papier und/oder online berichten, sind an die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Mediengesetzes gebunden, Know-How, das nicht jedem poster geläufig ist. Nun gut, der amerikanische Präsident macht (bzw. machte zumindest eine Zeit lang) mittels 140, dann 280 Zeichen sogar seine Politik. Er zählt nicht zu den sprachgewandtesten seiner Berufsgruppe und würzt gern mit Kürze die Weltpolitik.

An Twitter gefiel mir anfangs der Austausch von sachlich fundierten Argumenten zu aktuellen Themen der Gegenwart, parallel dazu ein gepflegter Humor, der auf raffinierten Wortwitz setzte. Ich schrieb an anderer Stelle bereits, dass Twitter zu einer Plattform geriet, auf der der Aphorismus seine neue Spielwiese gefunden hatte. Und so mancher User wusste zu brillieren. Überdeckt wurde dies in den vergangenen Monaten von wachsender Bissigkeit so mancher der „Twitteria“, wie die poster-Szene auch gerne genannt wird. Kritik um der Kritik willen begann zu dominieren, die Hitze der Wortgefechte nahm zu, wer antwortete, grundsätzlich ja ein Basisprinzip von social media, war nicht davor gefeit, als „Druko“ (=Drunterkommentierer) beschimpft zu werden. Die so demokratische Idee einer breit geführten Diskussion, moderationslos, kippte zusehends in Hass, befeuert durch manche sich hinter der Anonymität von Fantasienamen verbergende sogenannte „Trolle“, die der Provokation wegen ihre Kommentarspuren durch den Kurznachrichtendienst legten. Nicht immer war klar ersichtlich, ob diese nicht im Dienst der Mächtigen oder zumindest der Wieder-nach-der-Macht-Strebenden stehen und mit höherem Auftrag einer Kontrolle über die Meinungshoheit im nicht immer sehr sozialen Raum der elektronischen Öffentlichkeitswelt agitieren.

Wenn nämlich zu einem allen journalistischen Regeln entsprechenden, höflichen, natürlich rhetorisch geschliffenen Kommentar zu einer innenpolitischen Causa einer dieser „Trolle“ nichts anderes zu tun weiß, als mit „@“ Zeichen dem Betroffenen dies mit den Worten „Ich möchte das melden“ zuzuweisen, ist die Meinungsfreiheit bedroht. Denn die Ambivalenz im Kommentar, konkret im Verb „melden“, lässt unbestimmt, was wirklich damit gemeint sein sollte. Da beginnst du als Verfasser dann darüber nachzudenken, ob du schreiben durftest, was du geschrieben hast.

Im Sinn der eingangs zitierten Erkenntnis zur Pressefreiheit bzw. ihrem Ende stehen wir damit also an einer Schwelle. Möglicherweise haben wir sie sogar bereits überschritten. Denn ein Kommentar wie der zitierte wandelt sich, so unbestimmt er unter einem Tweet erscheint, rasch zur Vernaderung. Ob gewollt oder nicht, es ist dieses Potenzial, das in ihm schlummert und erwachen kann. Für virtuelles Blockwart-Wesen darf in der Digitalisierung nach fast zwei Jahrzehnten 21. Jahrhundert absolut kein Platz sein. Darum habe ich mich nach knapp vier Jahren aus dieser Plattform für – eigentlich – freien Meinungsaustausch ausgeklinkt. Nicht nur das: ich habe vor einem Monat meinen Twitter-Account gelöscht. Das fühlt sich für mich immer noch sehr richtig und gut an. Sachlich geführte Diskussionen in wechselseitiger Wertschätzung der Beteiligten brauchen einen anderen Platz.

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