Erst wenige Stunden in Millstatt zieht es mich samstags vor einer Woche zur Stärkung nach einer langen Autofahrt quer durch Österreich (in Meidung der hochfrequentierten Autobahnen) in einen Gastgarten eines seit März 2018 neu eröffneten Wirtshauses.
Ich sitze noch nicht einmal eine Minute, da nimmt am Tisch neben mir Werner Schneyder Platz. Dass Schneyder, der große Kabarettist und Formulierungskünstler, einer meiner unerreichbaren Vorbilder, in Kärnten und genauer hier am Millstätter See lebt, weiß ich seit Jahrzehnten. Das kam so: Vor 25 Jahren arbeitete ich als Kulturredakteur beim Oberösterreich-KURIER mit seinem Sohn Achim zusammen, Achim leitete das Sportressort. Wir tauschten uns viel über seinen von mir so geschätzten Vater aus, der mir allerdings dann im Februar 1993 unwissend eine Erinnerung ins Gedächtnis brannte, die sich just in diesem stillen, von meiner Seite durch Unbekanntheit geschützten Zusammensein im Gastgarten vorlaut meldete.
Bei einem Kabarettabend damals im Linzer Posthof improvisierte Vater Schneyder eine Blattkritik an der neuen Bundeslandversion des KURIER. Niemand kam gut weg, die Kulturberichterstattung erst recht nicht. Denn sehr wohl fiel ihm auf, was mich zu dieser Laufzeit des Projekts unserer Mutationsausgabe schon kräftig forderte: Kunst und Kultur aus Oberösterreich seien nur Randnotizen.
Ich war bei diesem Abend nicht persönlich zugegen, denn ich gönnte mir nach acht Monaten Arbeit in Sieben-Tage-Wochen tatsächlich vierzehn Tage Winterurlaub in Schladming. Die Spitzen, die Schneyder setzte, stichelten nur vermittelt. Sie taten dennoch weh. Der Redaktionsleiter rapportierte sie mir nach meiner Rückkehr in die Redaktion. Der schwierige Hintergrund war der tägliche Kampf mit dem Kulturressortleiter in Wien, dem strengen Franz Endler, dem vom ersten Tag an der Umstand, dass seine Konzert- und Opernkritiken aus den besten Wiener Häusern in Oberösterreich durch regionale Kunstereignisse nicht nur aus der klassischen Musik- und Konzertwelt ersetzt werden könnten, ein Dorn im Auge war. Er setzte durch, dass seine Texte für die Leserschaft zwischen Inn und Enns erhalten blieben. Meine Kulturberichterstattung spielte sich in Einspaltern links und rechts von seinen 200-und-mehr-Zeilen-Rezensionen ab. Diese Macht von Wien bekam unser Koordinator in der Seidengasse 7, Christian Nusser, heute „heute“-Chefredakteur, tagtäglich zu spüren, er fungierte als Bollwerk der Interessen zwischen Wien und Linz.
An diese Vergangenheit erinnere ich mich also, während Schneyder am Tisch neben mir Rindsgulasch isst und ich mein Wiener Schnitzel erwarte. Ein aufziehendes Gewitter gebietet Eile. Ich esse im prasselnden Regen unter einem Schirm im Gastgarten weiter, während sich der Prominente – von wohl kaum einem der anderen Gäste erkannt, dem Servicepersonal allerdings bekannt (und umgekehrt: nur durch Schneyder bekommt die niederländisch lispelnde Kellnerin den Vornamen Charlotte) – zurückzieht. Gestärkt und schmunzelnd über die Episode in meiner Erinnerung, die der Nachbar auslöste, ohne zu wissen, was das Gedächtnis des Mannes nebenbei gerade freizugeben wusste, entkomme ich noch dem eigentlichen Wolkenbruch und erreiche rechtzeitig die Villa Margarethe, in der ich in der vergangenen Woche wohnte.
Sie, eine der ältesten Villen in Millstatt, wurde 1891 vom Notar Oskar Ritter von Luschan gekauft, der ihr nach dem Vornamen seiner Frau ihren Namen gab. Er verstarb allerdings bald, auch sein Sohn Felix verunglückte mit nur 18 Jahren in den Bergen. In der Erbfolge ging das Haus an Georg von Susani-Etzerodt, den Großvater der jetzigen Besitzerin. Durch die verwandtschaftliche Beziehung zu Felix Ritter von Luschan, einem Archäologen und Professor für Anthropologie und Ethnologie an der Humboldt-Universität Berlin, zog es auch einiges an wissenschaftlicher Prominenz zur Sommerfrische in die Villa Margarethe. So weist das Gästebuch auch nach, dass Erwin Schrödinger in diesen vier Wänden zur Erholung weilte.
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