Ein feiner Kitzel am Gaumen mit Sendboten in die Eustachischen Röhren kündigt an, was je nach Wetterlage Tage bis Wochen in dieser Jahreszeit meinen Alltag besonders macht.
Blühbereit. Dies unscheinbar freundliche Wort des Warndiensts kommt einer Kriegserklärung gleich. Wenn sich die Gräser nur in ihrer Bereitschaft beherrschen könnten! Tun sie nicht. Ist diese aufgehoben, erfolgt der Angriff durch eine Explosion, die mich, neben vielen anderen, nein, you never walk alone, mit Gräserpollen umstäubt. Dann geht mein Immunsystem auf den Prüfstand. Und braucht Wartungsdienste.
In mir erwacht in dieser Zeit ein Putzdrang sondersgleichen. Die Sensibilisierung meiner Schleimhäute weckt den Jagdinstinkt in mir. Dieser zieht mich hin zu Winkeln in meiner Wohnung, die sich eben erst gebildet zu haben scheinen, als Reservate und Festungen, in denen der Staub meint, den tausenden Pollenkämpfern im Angriff auf Nase, Augen und Rachen des Herrn eine Überlebenschance in Allianz gewähren zu können. Ich wende gnadenlos Waffengewalt an, Wasser und Wischtuch.
Ich war zwölf Jahre alt, als meine Arbeit an einer Fußballerkarriere im Hof jener Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, ein jähes Ende fand, weil die Hausverwaltung (in den späten siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts) mit Rasentraktoren anrückte, um die Wiesen (auf denen wir ohnedies – offiziell! – nicht kicken durften) zu britisch kurzgeschorenen Grashalmmatten zu verwandeln. Der erste Nieser wirkte wie eine Initialzündung, unzählige folgten und führten mich schlussendlich zu Lungenfacharzt, Allergietest, langjährigen Desensibilisierungskuren mit Erfolg – und dem verbliebenen Memorandum an diese Zeit durch die Gräserpollen.
In mir könnten sich auch Mutationskräfte freisetzen, denen zufolge ich in dieser Zeit eifernden Gartenbesitzern wie ein Vampir der Allergie an den Hals gehen könnte, ja, sie sollten spüren, was sie verbrechen, wenn sie just in den Hochzeiten der Gräserblüte ihre Rasenmäher (so sie noch selbst Hand anlegen) oder ihre Roboter anwerfen. Unnötige Unterstützung für die Expansionspolitik des Feinds ist das!
Doch bleibe ich friedlich und vermittelnd wie eine Poaceae-hontas. Die Zeit des Kriegs mit den Gräserpollen geht vorbei, Wind verdünnt die Konzentration. Freudetanzend begrüßen wir jedes Gewitter. Ja, liebe Nicht-Betroffene, nur daher rührt unsere von euch mit Kopfschütteln kommentierte Begeisterung für viel Regen, Blitz und Donner. Denn diese Naturgewalt befreit uns aus der Umzingelung und sorgt für schleimhautbefriedende Pollenfeuerpausen, bis nach längstens zwei Monaten der Spuk für ein Jahr vorübergegangen ist.
Kategorien:Gesundheit, Soziales Handeln
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