Satire

Harte Zeiten für Hypochonder

In den ersten Tagen dachte ich ans Auswandern. Ich bewegte den Mauszeiger über die interaktive Österreich-Landkarte und sah weiße Hoffnungsschimmer des Unbefleckten in den Bezirken Horn (Niederösterreich), Güssing (Burgenland) und Hermagor (Kärnten). Null Infektionen.

Ich hätte mein Hab und Gut ins Auto gepackt und hinfahren können. Ein paar Gleichgesinnte wären mit mir im Stau an den Bezirksgrenzen gestanden. Denn findige Bezirkshauptmannschaften hätten wohl an den Rändern ihrer Zuständigkeitsbereiche Dekontaminierungsschleusen errichtet. Natürlich wäre eine vierzehntägige Quarantäne in Folge zu akzeptieren gewesen. Vom Bürgermeister der Aufnahmegemeinde wird dir dazu als Lesestoff ein Schreiben überreicht, in dem er dir freundlich erklärt, dass du dich dorthin zurückbewegen sollst, woher du gekommen bist (das ist jetzt die Schönschreibe-Version fürs österreichische „Schleich-di-ham!“), du infizierter binnenstaatlicher Einwanderer!

Es sind harte Zeiten für Menschen mit Hang zur Hypochondrie. Schon in den frühen Tagen, in unserer nun geltenden Erdzeitalterrechnung so etwas wie dem Prä-Pandemium, saß ich zur mittäglichen Nahrungsaufnahme im Restaurant meines Vertrauens nahe zu meiner Dienststelle. Das Hüsteln vom Nachbartisch schlich sich durch den Gehörgang und löste Gedanken aus: Hat der etwa? Und erst selbst: Der sprechintensive Beruf, gelebt in einem an Feuchtigkeit dürren Winter und noch dazu in überheizten Räumen, führt Arbeitstag für Arbeitstag spätestens nach der Halbzeit zu einer trockenen Kehle. Der Kitzel kommt, der Hustenreiz folgt. Habe ich?

Die Symptomliste – Fieber, trockener Husten, Kurzatmigkeit – hilft mir wenig. Ich gehöre zu jener Gattung von Menschen, denen Fieber fremd ist. Eher bin ich unterkühlt, cool also, thermisch vermessen, nicht innerlich. Husten, siehe oben. Kurzatmigkeit, ich beruhige mich selbst mit tiefen Atemzügen, die jedes noch so kleine Bläschen meiner Lunge füllen.

Ich brauchte Wochen um zu erkennen, dass da noch mehr Indikatoren in der Selbstdiagnostik gelten. Dieser Halbsatz eines krisenstabszugehörigen Mediziners, das Virus wirke auch auf die Verdauung, legitimierte der Menschheit zuerst rückwirkend die intensiven Lageraufstockungen an Toilettenpapier an jenem schicksalshaften Freitag, dem 13. (März), als der Bundeskanzler den shut-down verkündete. Somit lässt der Stoffwechsel also ein Orakeln zu. Weitere Wochen später wurde mir (andere, dazu befragt, nickten zustimmend und wissend und murmelten etwas von „Eh klar! Wissen wir schon lange!“) erst zugetragen, dass das Virus einem den Geruchs- und Geschmackssinn nimmt. Die Selbstprüfung erfolgt nun damit, seine Nase über Ware zu schieben, die deutlich riecht. In einer Zeit nach Ostern lohnt sich die Zucht eines hartgekochten Eis in seine biologische Vergänglichkeit, um jederzeit den Selbsttest machen zu können. Ich überlegte dazu auch kurz den Import von fermentiertem Hering aus Schweden. Auch schmecke ich die Zahnpasta beim Zähneputzen nun regelmäßig mit bewusstem Genuss.

Was also bleibt in einer Zeit des erblühenden Frühlings mit seiner satten Pollenlast und der für jeden Allergiker erweiterten Kompetenzschulung in Sachen Differentialdiagnostik? Die helle Freude über juckende Augen und Nase als Zeichen, von Pollen und (hoffentlich noch lange) nicht vom Virus geplagt zu sein.

Im Übrigen: das Wort „Männerschnupfen“ wird im Alltagssprachgebrauch fortan durch „Männerhusten“ zu ersetzen sein.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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