Politik

Vorwärts in die Vergangenheit

Eine missmutige Einladung in das junge neue Jahr? Dieses würde doch einiges an Optimismus vertragen. Der bleibt unterkühlt, ließ uns die Meinungsforschung zum Jahreswechsel noch wissen. Sie nannte keine Prozentzahl der Hoffnungsfrohen, sonst immer Impuls einer schönfärbenden Ermunterung. Denn die Wirklichkeit einer künftigen politischen Führung des Lands lässt ja weiterhin auf sich warten. Seit diesem Wochenende sicher noch länger.

Nach dem österreichischen Wahlgang zum neuen Kräfteverhältnis im Nationalrat rang eine Drei-Parteien-Mehrheit von innerhalb des demokratiepolitisch vertretbaren Rahmens unaufhörlich um ihre Ampelkoalition. Als ob es eine Alternative geben würde! Jetzt muss es eine geben, denn der Ausstieg der Neos mangels dringend nötigen Reformwillens löste in den Stellungnahmen der Parteigeschäftsführer der beiden anderen Fraktionen sofort wechselweise Schuldzuweisungen aus. Damit ist doch heutzutage kein Staat zu machen! Vor allem nicht der Neustart, den Österreich braucht. Zum gestrigen Samstagabend war es dann sehr rasch auch mit dem Versuch zu zweit vorbei.

Was jetzt? Andere Koalitionsvarianten, die gar den Wahlsieger einbeziehen? Nein, bitte nicht. Ich las den vor neun Jahren erschienenen Essay von Jan-Werner Müller zur Frage „Was ist Populismus?“ wieder und der Frust, der einen dabei erfasst, ist schwer zu verdauen. Da ging in einem Jahrzehnt nichts weiter, die Populisten treiben es wie eh und je, niemand weiß ihrem Egoismus zu begegnen. Wir in den Demokratien der westlichen industrie-, dann dienstleistungsgesellschaftlich geprägten Staaten stecken fest. Nur so viel: Österreich darf nicht Ungarn werden.

Woran hängt es? Am Besitzstand-Wahren, am Glauben an ein unendliches „und so weiter“, die gute alte Zeit als Verheißung einer Zukunft, die es so nicht geben können wird. Konkreter: Es hängt vorrangig am Budget. Es muss gespart werden, und zwar Milliarden, hieß es. Das wundert niemanden, denn in der vergangenen Legislaturperiode wurde ja öffentliches Geld nach dem Prinzip „Koste es, was es wolle!“ ausgegeben. Die Pandemie verführte dazu, die Inflation in Folge ebenso, der Staat bediente alle. Diese alle haben sich daran gewöhnt und insofern erstaunt doch nicht wirklich, dass kaum eine Interessensgruppe in den Wochen zwischen Wahl und Weihnachten ihren Budgetierungswunsch offenließ. Österreichs Staatshaushalt hat ein Ausgabenproblem, zugleich wird ausgabenseitig mehr gefordert. Da will man eine Zeitenwende?

Mit diesem Vokabel, einst von Olaf Scholz, nun scheidender Bundeskanzler beim Nachbarn Deutschland, gesprochen, beschrieb er die geopolitische Veränderung, die Russlands Überfall vor bald drei Jahren auf die Ukraine herbeiführte. Dahinter steckt ja, das darf man nicht vergessen, Herrn Putins Ansinnen, Land zurückzuerobern, das einst zur Sowjetunion gehörte, deren Zerbrechen er als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Gewalttätig lebt da einer seine Sehnsucht zurück in eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Jetzt zieht dann in Amerika Donald Trump wieder ins Weiße Haus ein. Das war in seiner ersten Amtszeit (höflich ausgedrückt) nicht zwingend ein Zeichen von Fortschritt, wie man 2016 schon bei Jan-Werner Müller lesen konnte, und wird es auch in den kommenden vier Jahren nicht werden, wenn Amerika neuerlich „great“ gemacht werden soll.

Die Suche nach den „guten alten Zeiten“ hat der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinov in seinem Roman „Zeitzuflucht“ (ins Deutsche übersetzt von Alexander Sitzmann) so schön auf die Spitze getrieben, indem er ja die Länder der Europäischen Union auf deren Entscheidung hin mit Referenden beauftragte, aus denen ihre Lieblingsjahrzehnte hervorgehen, in denen sie glücklich lebend verbleiben sollten. Wenn die Satire von der Realität eingeholt oder gar überholt wird, wird es immer gefährlich.

Wenn dazu dann auch das Visionäre von Kunst erschlafft, sich vorwärts ins Vergangene bewegt, ist eigentlich schon eine gesellschaftlich extrem hohe Alarmstufe erreicht. Ich muss da hier und heute für den eigenen Seelenfrieden noch protestieren: Im vergangenen September, zehn Tage vor dem Wahlgang, startete die einst so strahlende, so innovative, ja auch radikale Mittelbühne an der Linzer Wienerstraße, das Theater Phoenix, mit einer Bühnenfassung von Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ in die neue Saison. Zu sehen war eine altbackene dramaturgische Fassung, Pseudo-Agitprop, stecken geblieben im Entstehungsjahr, also 1974, die 50 Jahre danach nicht nur mit „D-Mark“(!) im Text die Staubigkeit der Vergangenheit schützte. In einer dazwischen eingefügten Textpassage auf Sekunden hob sich mit dem Hinweis, dass das, was Blum widerfuhr, heute über Internet und soziale Medien auch läuft, der pädagogische Zeigefinger. Das war´s dann schon, ansonsten Bölls „Blum“ als Aschen-Anbetung.

Mir kam beim Verlassen des Theaters der Satz zur Herzallerliebsten aus, dass dieser Konformismus einer Inszenierung vorauseilend gehorsam einer Macht im Staat zuarbeitet, die zu erwarten man zehn Tage vor der Nationalratswahl sich doch nicht so sicher sein sollte. Es sei denn, man ergibt sich, freiwillig, ohnmächtig dem, was kommen kann, schon vorab. In der Kunst! Hier in der darstellenden Kunst! Symbolisch ärgerlich und unsäglich traurig.

Foto: Nationalpark Sonfjället (Schweden) am 28. Juli 2024 (weil zum ersten blog-post des neuen Jahrs immer ein Urlaubsbild aus dem Sommer zuvor friedlich Stimmung stiftet)

Die Dynamik der Ereignisse fordert hier die Feststellung: Der Text ging am 5.1.2025 um 10 Uhr online.

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