Die österreichische Seele erweist sich als erbarmungslos, erst recht in ihrer Wiener Version. Denn wem ein Preis fürs Lebenswerk überreicht wird, muss den darin liegenden Subtext ausdeuten, in mindestens zwei Aspekten.
Erstens: Um meine Gesundheit scheint es nicht gut bestellt zu sein. Im Hang zum Morbiden, der Wien ja in so vielen Facetten innewohnt, schreibt man mich ab bzw. erwartet meinen baldigen Tod. Der Applaus dabei und dazu wird brutal ambivalent, er schwankt zwischen Zustimmung zu und Abschied von mir.
Zweiter Aspekt eines Preises fürs Lebenswerk: Es handelt sich um die versteckte Botschaft, die/der Kunstschaffende möge sich von der Spielfläche der Öffentlichkeit nach nunmehr ja attestierter Vollendung des Werks (Lebenswerk) in die Privatheit zurückziehen, also so etwas wie: Wir haben genug von dir!
Nun wurde am vergangenen Freitagabend im Rahmen der Amadeus Austrian Music Awards dem weiterhin äußerst fleißigen Musiker Hubert von Goisern so ein Lebenswerkpreis überreicht. Wir kennen ihn alle lang und wir schätzen ihn sehr. Es ist mit Sicherheit mehr als dreißig Jahre her, dass ich als Kulturjournalist einer großen österreichischen Tageszeitung in irgendeinem Turnsaal einer oberösterreichischen Gemeinde über den Raketenstart des Mannes aus dem Salzkammergut, der den Künstlernamen trägt wie einst die Dichter des Mittelalters, berichtet habe, Hiatamadl, dicke Wadln undsoweiter. Hubert von Goisern muss damals schon am Beginn des mittleren Alters gestanden sein. Heute verrät Wikipedia natürlich, wie alt er ist, und sein Facebook-Kanal, der sich mir in meine timeline schiebt (ich habe ihn nicht gebucht, wohl also wegen Bezahlung des Managements für Zuspiel vor die Augen bestimmter Zielgruppen) bringt Berichterstattung, wie ruhig er dieses Jahr 2024 eigentlich angehen wollte. Jetzt aber geht es über an Aktivitäten, obwohl der Künstler nun gebremst worden ist (Schiunfall Mitte März). Im Tross jener Delegation aus Oberösterreich zur Biennale in Venedig in der vorvergangenen Woche humpelte der Mann mit Krücken. Das tut er sich an. Warum war die Delegation in Venedig? Österreichs Pavillon bei der Biennale 2024 wurde durch Anna Jermolaeva gestaltet, sie hat eine Professur an der Kunstuniversität Linz. Und: Die Kulturhauptstadtregion Salzkammergut brachte eine Plätte in die Kanäle der Lagunenstadt, als Gondel-Alternative; soll sein, irgendwie entzückend, aber auch nicht mehr.
Nicht zuletzt, weil eine gewisse Streitbarkeit Hubert von Goisern eigen ist, besser vielleicht so geschrieben: weil er mit Parteilichkeit argumentiert (wes Brot ich ess´), etwa zum Mitteleinsatz für das Salzkammergut in diesem Kalenderjahr, gab es schon auch böse Kommentare unter seine durch Bezahlung in die Breite getriebene Facebook-Offenbarung, einer schrieb sinngemäß so: Melde doch endlich deine Pension an!
Das ist in der Kunst an sich schwierig, formal vielleicht machbar. Aber ein Kunstschaffender wird das in sich lodernde Feuer für seinen kreativen Ausdruck nicht löschen (können oder wollen). Eine Schaffensruhe an sich wird es kaum geben können, eher vielleicht die Entscheidung zu einer kleineren Flamme, die man da brennen lässt, in Selbstachtung durch Rückzug, durch Dosierung der Präsenz in der Öffentlichkeit.
Zum Festkonzert 50 Jahre Brucknerhaus spielten die Wiener Philharmoniker wie zur Eröffnung Bruckners siebente Sinfonie, 1974 stand Herbert von Karajan am Dirigentenpult, 2024 lehnte dort mehr, als er stand, der 87-jährige Zubin Mehta und die professionellen Ohren eines Kollegen Musikjournalisten nahmen sehr wohl wahr, dass da im Dirigat (bekanntlich ein Hochleistungssport) an Stellen einiges nicht so funktionierte, wie es der Anspruch der Sinfonie, des Orchesters und natürlich der Abend als solcher gefordert hätten.
Tut man(n) – zweites „n“, weil es ein sehr männliches Phänomen zu sein scheint – sich etwas Gutes damit, die eigene Reputation und Anerkennung (in der Erinnerung) anzukratzen, weil es eigentlich vorteilhafter wäre, der Verführung von Öffentlichkeit (und Gage) zu entsagen? Auch geistert in diesen Wochen durch Facebook die Vorfreude, dass am 11. Juli in der Stiftskirche von St. Florian, wo in der Krypta Anton Bruckner, unser in diesem Jahr zu seinem 200. Geburtstag durchgefeierter Landeskomponist, begraben liegt, die Bamberger Symphoniker die neunte Sinfonie spielen – dirigiert von Herbert Blomstedt. Der Dirigent vollendet an diesem Tag sein 97. Lebensjahr! Meine Deutschlehrerin im Gymnasium hielt mir immer vor, ich hätte keine Fantasie. Sie wusste nie und weiß es weiterhin nicht, welche Szenarien da mein Kopf ausspuckt, ich bin wehrlos.
Vom richtigen Zeitpunkt aufzuhören sind aber nicht nur jene Berufsbilder geplagt, die ihre Zenite erst erreichen, wenn sich die Zehnerzahl ihrer Lebensjahre schon hoch einstellig zeigt. Ich bin der Meinung, dass Österreichs einstiger Stolz der ATP-Tour, Dominik Thiem, es bereits komplett versäumt hat, seine nach Handverletzung nicht mehr in die Gänge zu bringende Tennisprofi-Karriere an den Nagel zu hängen.
Foto: Kurravaara/Nordschweden, 5. August 2023
Kategorien:Kulturpolitik, Musik, Sport
