Kulturpolitik

Was gehört bewahrt?

Museen haben die wichtige Aufgabe, Zeugnisse unseres Zeitstroms, in dem wir alle so schnell dahinschwimmen, herauszufischen, zu trocknen, zu präparieren: Sammeln, Aufbewahren, Forschen – das ist das Dreigestirn des musealen Auftrags. Ausstellen als vierte Disziplin gibt das eifrige Sichern von materiellen Spuren unseres Lebens uns und vor allem den Generationen danach in einer Anschaulichkeit des Vergangenen zurück.

In späten Augusttagen beobachtete ich drei Aspekte dieses Tuns in Österreich. Der nahe Nationalfeiertag verführt mich, diese drei einzuordnen, natürlich kritisch. Zwei irritierten mich, nur eines erfreute mich sehr. Ich beginne mit letzterem.

Das Wien Museum sicherte sich die Buchstaben der Aufschrift „Südbahnhof“ von jenem längst geschleiften Gebäude, heute Standort des Hauptbahnhofs, legendäre Aufbruchsstelle in den Süden des Lands, also nach Graz oder weiter nach Klagenfurt, und erst recht darüber hinaus und zwar dorthin, was man ohnedies für Wien schon als eigentlichen Anfang der Region begrifflich bereitgehalten hatte, den Balkan. Bis 12. Dezember 2009 galt der Südbahnhof als Österreichs größter Bahnhof. Und an der Stirnseite zierten Buchstaben, je 1,25 Meter hoch, aus Edelstahl gefertigt, ästhetisch Spiegelbild ihrer Montage in den sechziger Jahren das Gebäude. Vom Wien Museum erworben wird der Schriftzug ab 6. Dezember 2023 in der neuen Dauerausstellung in der großen Halle (wieder) zu sehen sein. Großartig!

Das „Haus der Geschichte Österreich“ kündigte Ende August an, den Tarnanzug von General Rudolf Striedinger zu übernehmen, ebenso ein Outfit von Chief Medical Officer Katharina Reich. Beide standen der GECKO-Kommission in Zeiten der Pandemie vor. GECKO stand für „Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination“, keine glückliche Abkürzung, wie damals im Internet gelästert worden war, denn wäre nur das gleichnamige Tierchen ungefragt zum Namenspatron erkoren worden! „Gecko“ heißt im militärischen Slang ja, den un- oder zumindest schlecht ausgebildeten Rekruten in die vorderste Frontlinie des Kampfs zu schicken. Irgendwie trat das dann auch in der Pandemiebekämpfung ein. Herr Striedinger, bei der Antrittspressekonferenz im Camouflage-Look, erreichte damit null Respekt beim Virus. Wenige Tage nach seinem Antreten an der Spitze der Kommission ging die Meldung um, er kuriere gerade seine Infektion aus. Auch ein (beliebiger?) Business-Look der medizinischen Führungskraft im Gremium macht sich in der „Corona-Sammlung“ des „Hauses der Geschichte Österreich“ irgendwie nur als Beispiel einer seltsamen Sammelstrategie.

Und dann war da noch ein Foto, vier Menschen, eine Aussendung des Landespressediensts, der Landesamtsdirektor, die Leiterin des Landesarchivs, die Künstlerin, der Landeshauptmann. Sie stehen hinter einem Granitquader, von der Künstlerin angefertigtes Behältnis für eine „digitale Zeitkapsel“. In ihm ist für hundert Jahre nun eine Festplatte verborgen, sie soll dann Zeugnis ablegen von dem, was uns heute geprägt hat, ausgesucht von 820 oberösterreichischen Bürgerinnen und Bürgern.

So, ich pflege jetzt mein Image als Stänkerer: Wenn irgendein Endgerät dann noch in der Lage sein wird, diese Festplatte zu lesen! Unter den ausgewählten Inhalten schmerzt mich, den leidenschaftlichen Lehrer und Schulleiter, dass die Generation unserer Kinder und Jugendlicher mit einem Bild Eingang in die hundert Jahre Ewigkeit der Festplatte zu Oberösterreichs Geschichte gefunden hat. Sie hätten sich eine andere Repräsentation verdient, sind aber dargestellt als Schulklasse – mit FFP2-Masken! Das tut ordentlich weh!!

Foto: Den Nationalfeiertag trocknen, Nachsorge am Tag danach 2022, Aufnahme vom 27.10.2022, Aula der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz (Oberösterreich)

1 reply »

  1. „Stänkerer“ trifft es nicht wirklich, wenn man diverse Protokolle aus dieser Zeit eines Instituts eines benachbarten Landes gelesen hat. Falls es den „Klarseher“ als Begriff gibt, so würde der wohl besser passen …

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