Linz (Oberösterreich), meine Geburtsstadt, hat seit jeher den „spin“, alles in eine Form von Übertreibung zu bringen. Ab und an bleibt das in Traumwelten der Köpfe von Stadtvätern (ja, es ist ein männliches Prinzip, darum hier nur Väter), zum Beispiel „Klimahauptstadt“ zu werden (dafür müssten sehr deutlich mehr Initiativen gesetzt werden!), oder im Bereich von Kunst und Kultur es zu einem Niveau zu bringen wie – bitte festhalten! – Berlin.
Augen, Ohren und vor allem das Reden werden dann immer so groß wie bei den Anglern, die sich gegenseitig erzählen, wie riesig der Fisch war, wie schwer, und wie sehr sie mit ihm gekämpft haben, damit sie ihn überhaupt aus dem Wasser ziehen konnten. Diese Großmannssucht, hier in diesem Blog schon öfters in Sorge um die Stadt und ihre gute Zukunft thematisiert und diskutiert, drückt sich nun neuerlich in etwas aus, bei dem man als hier Geborener, hauptwohnsitzlich zwar gerade anderswo, beruflich aber gern und intensiv zu Gast, aufschreien muss: Ein neues Open-Air-Musikfestival wird in den überbordenden Veranstaltungskalender gesetzt, ein bestehendes bekommt einen höchst sensiblen neuen Veranstaltungsort.
Vorab: Wir wissen, dass der Kalender für alle, die Freude daran haben, Line-Ups der internationalen Musikszene Tag für Tag zu genießen, zu tanzen, zu feiern, dabei (reichlich) zu trinken, zu grillen, zu zelten, in Österreich genug Anlässe bereithält. Die große Frage also vorab: Warum ein neues Festival? Es gibt genug. Die zweite Frage: Warum gerade in Linz? Die dritte, zweigeteilt: Warum das eine schon bekannte plötzlich in einem Naturraum und Naherholungsgebiet, nämlich am Pichlinger See, und das am ersten Juniwochenende (3./4. Juni), wenn wahrscheinlich endlich verdienterweise die ältere Generation und Familien an den Naturstrand des Baggersees ziehen, um Sommer, Sonne, Wasser, Sport und Ruhe genießen zu wollen? Warum das andere, das neue, just an einem Ort, mitten in der Stadt, mitten in bebautem und dicht bewohntem Gebiet, nämlich auf dem Jahrmarktsgelände, dessen Anrainerinnen und Anrainer seit Jahrzehnten von der Eventsucht der Linzer Stadtführung gepeinigt und in den eigenen Interessen brutal ignoriert werden? Nun setzt man ihnen ein Festival „Lido Sounds“ (16. bis 18. Juni) vor Nasen und Ohren. Zum Benehmen all jener, die an diese Stelle der Stadt dann einfallen (meine Familie lebte dort einige Jahre und wir verließen den eigentlich schönen Wohnort wegen genau dieser ewigen Plagerei mit den Unterhaltungslustigen und ihren durch Alkohol komplett entgrenzten Verhaltensweisen), habe ich an anderer Stelle schon detailliert berichtet.
Wie viel Dummheit hier in der Stadt gelebt wird, zeigt sich einerseits bei „Lido Sounds“ in der Naivität der Selbstbepreisung. Linz sei die einzige Stadt, die so zentral eine derartige mehrtägige Musikshow auf die Beine stellt. Dazu sagt jeder mit Verstand: Klar, keine andere Stadt geht dermaßen verantwortungslos mit ihren Bürgerinnen und Bürgern um und sucht darum den Stadtrand, weitab von Wohngegenden. Lustiges Alleinstellungsmerkmal also! Warum man andererseits letzte Oasen der Naherholung (der See) als Bühne für Spektakel zulässt, fällt in die gleiche Kategorie von Dummheit, die natürlich eine Rechtfertigung kennt: Mit Musikfestivals, halbwegs geschickt gemacht, lässt sich kräftig Geld verdienen und breiter Vergnügungssucht nach dem Darben durch die Pandemiejahre ist wohl kein Preis zu teuer, wenn man sich die Eintrittstarife dafür ansieht.
Kleine Anekdote zum Schluss: Mitte Juni zeigt sich in der oberösterreichischen Landeshauptstadt schon durch angestammte Festivals im Kulturkalender die verfügbare Bettenkapazität in den Beherbergungsbetrieben voll ausgelastet. Für „Lido Sounds“ sucht man nun, mangels Campinggelegenheiten am „Festival-“ ist gleich Jahrmarktsgelände, nach Shuttlediensten und privat ermöglichten Unterkünften. Angeblich bittet man sogar um die Bereitschaft der Linzerinnen und Linzer, Camper in private Gärten einzulassen. Ja, genau – und was sonst noch?
Foto: Pexels/Free Photo Library – Symbolfoto
Kategorien:Kulturpolitik, Musik

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