Der Satz zieht im Abspann rasch durch. Das Filmteam dankt darin all jenen Paketboten, die mit Informationen zum Film beigetragen hatten, die allerdings ungenannt bleiben wollten. Oder mussten. Der Satz selbst scheint sich genauso unauffällig verhalten zu wollen, wie es die Paketboten tun (müssen), wenn sie ihrer Dienstleistungspflicht nachkommen. Nach außen scheint alles in Ordnung, nach innen ist diese Branche beispielgebend für den Kelomat an Höchstleistungen unter Zeitdruck bei schlechter Bezahlung.
Ken Loach, der die Gegebenheiten am unteren Ende der sozialen Gruppen so unaufgeregt zu erzählen weiß, der in der Reportage verdichtet, sodass daraus ein Wirklichkeitsverständnis erwachsen kann, zeigt in „Sorry We Missed You“ den Paketboten Ricky Turner, einen Mann aus Manchester. Liebe, Leben, Arbeit verschlugen ihn nach Newcastle. Er träumt von Selbstständigkeit und wird Ein-Personen-Unternehmer mit weißem Kastenwagen, Franchise-Nehmer, funktionierendes Wirtschaftswesen, dem jede aus einem Menschenleben widerfahrende Notwendigkeit Geld in Gestalt von Pönalen für seinen Auftraggeber kostet. Für den Van verkauft die Familie den Kleinwagen, mit dem Frau und Mutter Abbie ihrem engmaschigen Zeitplan von Hauskrankenpflegebesuchen nachkommt. Fortan muss sie diesen mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen.
Trotz der 14-Stunden-und-mehr-Arbeitstage der beiden reicht das Einkommen nicht für die vierköpfige Familie, diese schleppt Schulden mit sich. Sohn Seb lebt seine Pubertät bis an (oder sogar ein wenig über) die Grenze zur Kleinkriminalität. Tochter Lisa sieht die Intaktheit der Familie gefährdet. Da sind zwei Einstellungen, in denen die Intervention des jüngsten Familienmitglied zum einen Fürsorge, zum anderen Widerstand gegen diese Kettenreaktion eines brummenden Leistungsgesellschaftsmotors vorm Durchbrennen zeigt: Beide Elternteile sind vorm Fernsehen eingeschlafen, Lisa steht auf, dreht das Gerät ab, die Eltern erwachen und erkennen, dass sie zu Bett gehen müssen. Als Lisa ihren Papa auf der Tour begleitet, als der ein Paket im Gartenhaus hinterlegen muss und dort eine unangenehme Begegnung mit dem Hund erlebt, die ein Stück Hose als Preis hat, schreibt Lisa auf die Verständigungskarte des fiktiven Paketdienstleiters PDF (Parcels Delivered Fastly) neben „Sorry we missed you“: „Sie schulden meinem Vater ein Paar neue Boxershorts.“
Loach setzte neuerlich auf Laienschauspieler, mit Kris Hitchen als Ricky sogar auf einen, der sich Jahre zuvor bei einem Casting für einen Vorgängerfilm nicht durchsetzen konnte und sich zwischenzeitlich mit verschiedensten Jobs seinen Lebensunterhalt verdiente. Debbie Honeywood, sie spielt Abbie, erzählte im Interview mit The Guardian, dass Loach seinen Akteuren vor der Kamera das gesamte Drehbuch vorenthalten hatte, um authentischere Reaktionen auf die jeweiligen Handlungswendungen zu erreichen. Die Studie ist exakt, bedrückend, kraftvoll. So steckt in ihrem Titel auch die Aussage darüber, dass in der hoch entwickelten Dienstleistungsgesellschaft, in der eine allzeitige Verfügbarkeit von Waren (Paketen) und Dienstleistungen (Pflege) gewünscht und gelebt wird, Menschen geopfert werden. Menschen, die bedingungslos und immer funktionieren müssen.
Wir wissen das. Nicht nur weil Loach es uns zeigt. Aber was tun wir dagegen?
Foto: Im Laufschritt zur Paketzustellung – Vater Ricky (Kris Hitchen), begleitet von seiner Tochter Lisa – (c) Filmladen Filmverleih Wien
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