Literatur

Das Denken endet bereits beim Frühstück

Fernsehkonsum kennt Pflichttermine, beispielsweise das Neujahrskonzert oder für manche, soll sein, den Villacher Fasching, die Streif in Kitzbühel, den Grand Prix von Monaco oder das Champions-League-Finale. Bei mir ist es vor allem auch die „Leipziger Buchnacht“, immer samstags im Rahmen der Buchmesse. Live aus der Schalterhalle des Bayerischen Bahnhofs in Leipzig, produziert vom MDR, öffnet sich in diesem einfachen und gerade darin so genialen Fernsehfeuilleton in 90 Minuten die Welt von sechs Neuerscheinungen. Hinter der geradezu spießbürgerlichen Fassade seines Moderators Denis Scheck enttarnt sich der Schelm, wenn er Intellekt und Rhetorik seiner sechs Autorengäste so zu verknüpfen weiß, dass sich daraus ein spannender (Spät)Fernsehabend (3sat, 25.3.2017, 22:10 Uhr) ergibt.

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Screenshot der „Leipziger Buchnacht“ vom 25.3.2017: von links nach rechts – Wulf (leider nicht im Bild), Klink, Menasse, Scheck, Krieger, Haslinger und Zaimoglu

Natürlich ist dieses Fernsehformat getaktet, in etwa 15 Minuten pro Buch und Autor/in, darin beinhaltet ist ein kleiner feiner Zuspieler mit kräftiger Appetizer-Wirkung. Mit der Einstiegsfrage in der Ausgabe 2017 suchte Scheck die Distanz zur Kochbuch-Flut: Wie hielten es denn die Schriftsteller während der eigenen Schreibarbeit mit der Nahrungsaufnahme? Vincent Klink, selbst Koch und als Autor Wiederentdecker der „Grundzüge des gastronomischen Anstands von Grimod de la Reynière“, outete sich als asketischer Autor mit frühmorgendlichem Kreativschub: „Das Frühstück ist das Ende des Denkens.“ Von Andrea Wulf galt es zu erfahren, dass ihr beim intensiven Erforschen einer Biografie, konkret der von Alexander von Humboldt, schon daran gelegen sei, für Leben und Wirken bedeutende Räume auch selbst zu erkunden. Sie vollzog Teile der Humboldtschen Südamerika-Expedition nach. Mit Übersetzerin Karin Krieger, zur Zeit mit Band 3 und 4 der Romanserie der mysteriösen Elena Ferrante beschäftigt, oder Josef Haslinger als PEN-Präsident und darin Herausgeber einer Anthologe von Texten verfolgter Autoren, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, zeigt sich die kluge Konzeption, für so einen Fernsehabend verschiedene Zugänge zur Literatur in einer Talkrunde zusammenzubringen. Natürlich fehlt die Belletristik nicht, 2017 vertreten mit Eva Menasse („Tiere für Fortgeschrittene“) und Feridun Zaimoglu, der als Muslim mit „Evangelio“ einen  historischen Roman zu Martin Luther (und dem 500-Jahr-Jubiläum des Thesenanschlags in Wittenberg) beigetragen hat.

Diese Mischung macht’s aus, die der vorgestellten Bücher und der Menschen, die diese geschrieben haben, im Gespräch das Changieren zwischen dem natürlich auch inszenierten Klatsch rund um eine Schriftstellerpersönlichkeit (Zaimoglu sammelt Gartenzwerge!) bis hin zum literaturwissenschaftlichen Dauerbrenner, inwieweit sich der Autor als Instanz in seinen Texten spiegelt. Summa summarum: Einfach ein wunderschöner Vermittlungsdienst an der und für die Literatur!

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