Meine zweite Begegnung (die erste war die Fernsehfassung) mit Ferdinand von Schirachs „Terror“ hätte ursprünglich meine erste sein sollen. Nur konnte im Frühjahr 2016 die restlos ausverkaufte erste Aufführungsserie der österreichischen Erstaufführung durch theater@work im Landesgericht Linz (Oberösterreich) die Nachfrage des interessierten Publikums (und darin auch meine) nicht mehr bedienen.
Seit einer Woche ist die Produktion nun in Wiederaufnahme auf Tour durch Österreich. Sie nutzt als Bühnenbild einen Gerichtssaal und findet darum in Gerichtsgebäuden ihre Tourneestationen, so auch in diesen Tagen in meiner Heimatstadt.
Insbesondere bringt die Inszenierung durch Heidelinde Leutgöb besser heraus, wie sich im Abwägen – 164 Opfer durch den Abschuss der Passagiermaschine im Verhältnis zu potenziellen 70.000, wenn der terroristische Akt das zur Waffe umfunktionierte Flugzeug tatsächlich in das Fußballstadion gesteuert hätte – zwei gesellschaftliche Systeme aneinander reiben: Justiz und Landesverteidigung. Schon in der Einvernahme des Zeugen Lauterbach (Peter Andreas Landerl) durch den Vorsitzenden (Alfred Rauch) werden die Konstruktionen von Wirklichkeit deutlich. Die gefällige Verwendung von Fachbegriffen, unverständlich für den anderen, entzweit Sicht- und Denkweisen. Wenn dann die Staatsanwältin (Lisa Schrammel) den Angeklagten (Simon Jaritz) befragt, verstärkt sich dies, insbesondere in der Passage, wenn sie in die Prüfung seines vor allem auch in Militärkreisen geschulten Rechtsempfindens geht. Diese scheinbare Gleichschaltung im Diskurs zwischen ihr (Justiz) und ihm (Landesverteidigung) lässt in Schirachs Theaterstück (juristisch basiert und doch natürlich Fiktion) eine Art Rückkoppelung zu jener juristischen Raffinesse entstehen, die das Bundesverwaltungsgericht ein Jahr nach dem Beschluss des Luftsicherheitsgesetzes vollzogen hat. Leben darf nicht mit Leben aufgewogen werden. Entsteht darum ein rechtsfreier Raum? Was gilt in diesem: die Verfassung (das Prinzip) oder das geringere Übel? Dramaturgisch (in dieser Inszenierung) lässt das die Idee zu, dass hier der Falsche auf der Anklagebank sitzt, dass die vom Bundesverfassungsgericht vollzogene Aufhebung den Staat aus der Verantwortung entlassen hat und seinen Diener, den Major, in eine drängt, der er niemals gewachsen sein kann. Im Moment des Abschusses ist sich die Figur Lars Koch ja absolut bewusst, dass sich nun ihr Leben ändert.
Die literarische Vorlage offenbart auf der Theaterbühne Gerichtssaal in meiner zweiten Begegnung mit ihr durch die Dialogführung die Nuancen und Tiefen der Sprache. Das bereichert einen, das befeuert das Diskutieren. Die theatralische Hauptverhandlung endete dieses Mal mit einem Freispruch des Schöffengerichts: 37 stimmten für „schuldig“, 77 für „nicht schuldig“.
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