Hätten wir uns nicht drei Jahrzehnte lang daran gewöhnt und dank Josef Haslingers Analyse der „Politik der Gefühle“ das Verhalten von Volk und Politiker in Wechselwirkung genauestens gelernt, würde uns das politische Leben in Form seiner Selbstdarstellungen ja noch brüskieren. Die beschaulichen Selbstinszenierungen unserer Volksvertreter vor aller Augen Welt lösen im Österreicher immer wieder Scham und Angst aus: hoffentlich bekommt niemand mit, wie sich – hier darf frei ein Name eigener Wahl eingesetzt werden – gibt! Da tröstet auch die aktuelle Situation in Amerika wenig.
Ich lese die Politik in der Republik Österreich gerne als ein dicht strukturiertes Netzwerk von Erzählungen, als eine komplexe Struktur, die sich mit der literaturwissenschaftlichen Definition von „Idylle“ bestens verträgt: Idylle stammt vom griechischen „eidyllion“ ab, zu deutsch: Bildchen. Gero von Wilpert erklärt in seinem Sachwörterbuch der Literatur die Idylle als „episch-halbdramatische (dialogische) Dichtform zur Schilderung friedvoll-bescheidenen, behaglich-gemütlichen Winkelglücks harmlos empfindender Menschen in Geborgenheit und Selbstgenügsamkeit und natürlich alltäglichen Land- und Volkslebens in schlichter Alltagssprache, Vers oder Prosa, oft mit lyrischen Einlagen in geschlossenen Szenen (…)“.
So eine historische lyrische Einlage ist der Mythos – was im Griechischen nichts anderes als „Geschichte“ bedeutet – vom Abzug des letzten Besatzungssoldaten aus Österreich als Grund und Ursache für Durchführung und Termin des Nationalfeiertags (heute!). Dabei geht der auf den Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes zur österreichischen Neutralität zurück.
Aktuelle episch-halbdramatische Dichtungen sind Botschaften wie „in eurem Sinn zu entscheiden“. Der Plural der zweiten Person sucht in Schlichtheit das Vertrauen und der dazu gedruckte kleine Satz („so wahr mir Gott helfe“) schafft den Dialog. Er bestimmt das politische Tagesgeschehen. Seit Freitag reden alle darüber. Und seit Montag dazu noch über „die Rede zur Lage der Nation“ aus Sicht der erstarkenden Oppositionspartei: Die Würze mit einigen drastischen Vokabeln (Wiedergabe verstärkt, darum nur ein Stichwort – „Bürgerkrieg“) evoziert einen unmittelbar bevorstehenden Verlust jener friedvollen Gemütlichkeit, die das Land nie hatte, nicht hat und nie haben wird. Mit dem Sehnsuchtsprinzip „Idylle“ wird heute Politik gemacht. Ja, sie sind Hirten, die mit ihren „lyrischen Einlagen“ uns Schafe vor sich hertreiben. Denn wir sollen harmlos, geborgen und selbstgenügsam empfinden. Lyrische Einlagen mit Kalkül: Es ist wirklich Zeit, diese Szenen zu schließen. Für eine Ankunft in der Realität statt in konstruierter Wirklichkeit. Zum Wohl des Landes und aller Menschen, die in diesem leben!