Literatur

Tagebücher der Alltagsabsurditäten

Mit ihr stieg in der österreichischen Literaturszene ein neuer schriller Stern auf. Ihr Schreiben bleibt stets kurz gefasst, direkt, lebensnah, das wirkt gerne auch einmal derb, trashig bis obszön. Als Referenzen nennt die Wienerin die Autorin Christine Nöstlinger und den vor kurzem verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix. Und: „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie“, wirft sie plötzlich bei ihrer Lesung am vergangenen Freitag beim Literaturfestival 4553 im prunkvollen Bernardisaal des Stifts Schlierbach (Oberösterreich) ein.

Lesung von Stefanie Sargnagel am 26.8.2016 im Bernardisaal von Stift Schlierbach (Oberösterreich)

Lesung von Stefanie Sargnagel im Bernardisaal von Stift Schlierbach

Stefanie Sargnagel ist die Autorin mit der roten Baskenmütze. Ohne ihr Markenzeichen tritt sie in der Öffentlichkeit nicht auf. Das liefert die Assoziation Rotkäppchen mit. Sie erklärt sich als eines, das der Großmutter nicht den Wein bringt, sondern die Flaschen selbst ausgetrunken hat, bevor es an ihrem Bett steht, um sie anzuschnorren. Stefanie Sargnagel ver-rückt Wahrnehmungen. Sie schreibt Statusmeldungen auf facebook, manchmal auch Aphorismen („Meine Lieblingsspeise ist Buffet“) und kurze Gedichte, an der Grenze zum Nonsense, gerne auch einmal darüber hinaus.

2015 wurden ihr Veröffentlichungen in facebook für ein erstes Buch quasi abgeschöpft: „Fitness“ heißt dieses, in Erinnerung an ein Probemonat körperlicher Ertüchtigung in einem Studio. Da sinniert sie über eine letzte Bastion Untätigkeit, nämlich dann, wenn man im Solarium liegt und unabgelenkt Zeit findet, um nachzudenken. Logische Folge: „Je oranger eine Person, desto mehr hat sie nachgedacht.“ Oder: „In meinem Falafel-Sandwich war heute eine Wimper vom Kebab-Verkäufer. Jetzt darf ich mir was wünschen. Ich wünsche mir, dass in meinem Falafel-Sandwich keine Wimper vom Kebab-Verkäufer ist.“

In „Binge Living“, 2013 erschienen, dokumentierte Stefanie Sargnagel vier Jahre Tätigkeit im Callcenter. Sie gab Auskunft über Rufnummern an Gesprächspartner, die sich fern der Idee, man könnte im Internet rasch und günstig zu dieser Information kommen, in der Absurdie ihres Alltags präsentierten. Wirklich nur Dokumentation? Also Mini-Dramen, wie sie das Leben schreibt? Oder doch ein fiktionaler Feinschliff zu einer literarischen Form von „minimal art“ durch eine Autorin, die für ihr Publikum offen hält, ob sie wirklich so ist, wie sie sich gibt, oder eine für den Literaturbetrieb genial ersonnene Figur spielt? In jedem Fall surft die 30-jährige Wienerin gut auf ihrer Erfolgswelle. So las sie sich vor dem Sommer bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt in die Herzen der Zuschauer und gewann im online-Voting den Publikumspreis.

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