„Andere Engel“ sammelt der „Höhenrausch 2016“. Das im Kulturhauptstadtjahr Linz 2009 entwickelte Ausstellungsformat präsentiert künstlerische Interventionen, erlebbar in einem Parcours hoch über den Dächern der Innenstadt. Die Reaktivierung der „Nike“-Skulptur von Haus-Rucker-Co an der Ursulinenkirche schon vor der Höhenrausch-Eröffnung am 21. Mai 2016 erscheint wie eine Präambel: die griechische Siegesgöttin, hier in Projektion auf zwei Bleche, nach Vorbild der Nike von Samothrake schwebt an einem Gerüst (nach Modell der Lissitzky-Rednertribüne) wenige hundert Meter südlich von jener Stelle, wo ihr Erscheinen vor knapp vier Jahrzehnten für Aufregung vor allem in den Medien gesorgt hat. 1977 war sie Teil von „Forum Metall“, einer Initiative von Helmuth Gsöllpointner, damals Rektor der jungen Linzer Kunsthochschule und zugleich Leiter der Meisterklasse Metall, in Zusammenarbeit mit Peter Baum, dem Direktor der „Neuen Galerie“. Kunst eroberte in Linz erstmals den öffentlichen Raum, in einem Skulpturenpark entlang der Donaulände. Linz, damals noch ganz Industrie- und darin vor allem Stahlstadt, bewies sich vor allem als „Ort einer Produktionskompetenz“, wie dies Kunsthistoriker Martin Hochleitner am 12. Mai im Rahmen einer O.K.-Labor-Vorlesung besonders herausarbeitete.
Die „Nike“ als Beispiel von „appropriation art“ brüskierte das saturierte Verständnis von Kunst in der Stadt. Das soll Kunst sein? „Fetzenvogel“, „Fledermaus“ oder „Blechgöttin“ waren noch die freundlicheren Attribute, die man der Installation zuwies. Das Erscheinen der griechischen Siegesgöttin auf dem westlichen der beiden Brückenkopfgebäude an der Nordseite des Linzer Hauptplatzes, dieser untilgbaren Spuren von Hitlers Vision von Linz als Führerhauptstadt, störte die freie Blickachse. „Die Wirkung war nicht planbar“, sagte Architekt Laurids Ortner, damals einer der kreativen Köpfe von Haus-Rucker-Co, „in der untergehenden Sonne ging von den Rückseiten der Bleche ein Strahlen für sie aus, als hätte sie einen Heiligenschein.“ Zwei Jahre durfte sie bleiben, dann wurde sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion demontiert, verschwand im Wirtschaftshof der Stadt und reiste dann weiter zum Architekturmuseum in Frankfurt/Main, vor dem sie hätte aufgestellt werden sollen, was das Denkmalamt allerdings nicht zuließ. Ihre Rückkehr, nun ohne öffentlichen Protest, wenngleich an einem neuen Ort begrüßt Ortner: „Es bleibt was in Bewegung“, und sie bewahre sich ihren „Feldzeichencharakter“.
Auch wenn sie seit 1979 nicht sichtbar im öffentlichen Raum der Stadt erschienen ist, wirkte ihre zweijährige Präsenz in die Genese von Linz als Kulturstadt. Die Preisträger des „Prix Ars Electronica“ bekommen jeweils eine „Nica“, eine Statuette in Nachbildung der Nike, überreicht. Für Generationen wie etwa meine – ich selbst war 1977 Gymnasiast der Unterstufe und wir sahen sie tagtäglich von der Straßenbahnhaltestelle Taubenmarkt aus, als wir von der Schule heimfuhren – symbolisiert sie seither immerwährend den Aufbruch aus einer sehr traditional in der Nachkriegszeit entwickelten Kunstwelt in Linz. Darin blieb sie Wesen zwischen den Welten, spendete Inspiration, bot Schutz, wuchs zum Symbol für den Sieg freisinniger Geister. Auch wenn wir sie 37 Jahre lang nicht gesehen haben.
Alles, was Flügel hat, fliegt. Nicht alles, was Flügel hat, muss ein Engel sein. Die „Nike“ ist schon einer, ein anderer. Auch dem gegenwärtigen Klima für Kreativität tut verdammt gut, dass sie wieder da ist!
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