Vor Begeisterung blind lobpreist Madame Pernelle den Gast im Hause ihres Sohns Orgon, während die versammelte Familie samt Zofe und Dienerin ihre Augen verdreht: Tartuffe, von Ausstatterin Alexandra Pitz in sakrales Rot und eine Weste wie eine zu heiß gewaschene Soutane gesteckt, sitzt parasitär im Haus des wohlhabenden Pariser Bürgers, wie ein durch nichts aus den Wänden zu bringender Pilz. Kurz vor der Pause erscheint er darum in den Kammerspielen des Landestheaters Linz erstmals, indem er die Wände des Bühnenbilds aufklappt, ein Effekt, der schon bei der ersten Inszenierung der nun abgeschlossenen Molière-Trilogie, „Der Geizige“, zu wirken verstand.
Vasilij Sotke interpretiert nun in Gerhard Willerts Regie und in der wunderschönen Übersetzung von Wolfgang Wiens zum dritten Mal den Protagonisten einer Molière-Komödie (die zweite war „Der eingebildete Kranke“). Er setzt dafür auf einen schauspielerischen Kanon an Gesten und Mimik, wodurch die Schlitzohrigkeit aller drei – Harpagon, Argan, Tartuffe – wie die Facetten einer Bühnenfigur erscheint, die antritt, ihre Kritik am Establishment über die Rampe zu bringen.
Allerdings: Die Bigotterie des falschen Frömmlers Tartuffe erscheint besonders durchtrieben. Darin, dass alle Pläne der Familie, insbesondere die Verehelichung von Tochter Mariane, nach seinem Gutdünken ausgerichtet werden, lässt er sehen, was möglich ist. Orgon (Thomas Bammer), verführt und verfallen, was in Willerts Inszenierung in einer homoerotischen Annäherung zwischen den beiden gespielt wird, vermacht dem Heuchler im Haus sein ganzes Hab und Gut. Tartuffe, dem nach Orgons Gattin Elmire (Gunda Schanderer) gelüstet, entzieht seinen Hals der enger werdenden Schlinge nach dem ersten Verdachtsfall noch, indem er demonstrativ mit seinem Schöpfer spricht. Danach verteidigt sich der Wolf im Priestergewand samt Zucchetto, als hätte er Kreide gefressen. Erst als Elmire in einem Experiment zur Überführung des Heuchlers schreiten muss, klärt das ihrem Gatten Orgon, der dies heimlich unter dem Tisch beobachtet, den Blick auf die Realität.
Einen Ausweg aus so einer Tartuffisierung von Gesellschaft konnte Molière schon anno 1664 nur mit dem Auftritt eines königlichen Boten finden, der durch höhere Instanz das schurkische Treiben seiner gerechten Verfolgung zuführte. Nur eine brillant gespielte Komödie? Im Fluss der politischen Gegenwart schüttelt man dazu den Kopf. Drei Fragen bleiben: Was muss geschehen, damit den Madames Pernelle und Orgons heute rechtzeitig die Augen aufgehen? Welcher Bote welchen Königs kommt? Und wann?
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