Es liegt noch gar nicht so lange zurück, dass an dieser Stelle Verhalten im Verkehr symbolträchtig für unsere gesellschaftliche Gegenwart interpretiert werden wollte. In diesem Jahr drängt sich ein anderes Phänomen für eine analoge Betrachtung auf, das Geisterfahren.
Denn dann, wenn die Unterhaltungsorgel der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme noch an meine Ohren darf, beim Autofahren, stellte ich eine erhöhte Häufigkeit fest. Ich hatte schon den Eindruck, ich würde nicht eine Autofahrt vollziehen, bei der aus dem Lautsprecher nicht der Verkehrsfunk-Jingle erklingt und die Stimme den gut bekannten Text ansagt, von „Achtung! Auf der – es folgt die Bezeichnung der Schnellstraße oder Autobahn – kommt Ihnen im Bereich von – Ortsangabe – ein Geisterfahrer entgegen. Bitte fahren Sie in beiden Richtungen rechts und überholen Sie nicht!“. Einmal ist kein Mal, darum schärft die Wiederholung des standardisierten Spruchs allen im Gefahrenbereich (hoffentlich) die Sinne zur Vorsicht.
Irgendwann im Sommer las ich dann gar die Meldung, man wäre in der statistischen Vermessung, wie oft jemand auf Autobahnen falsch auffährt und sich gegen die Richtung der Mehrheit wendet, schon über dem Wert des gesamten Vorjahrs. Besonderes Krisengebiet des Geisterfahrens wäre die Autobahn A1 im Bereich des oberösterreichischen Seengebiets. Die Baustellensituation dort würde in der Verkehrsführung irritieren und in ihrer Beschilderung nicht mehr nur führen, sondern verführen.
Somit sind wir bei einem sinnbildlichen Anspruch der höchst gefährlichen Situation im Straßenverkehr, bei der zunehmenden Mangelerscheinung von Lesekompetenz von eindeutig kodierten Symbolen, verständnisorientiert, darin mit der Folge eines klaren rationalen Handelns, welches sich an die Hinweise anpasst. Wenn das Lesen-Können von Schildern Teil unserer Sprachfähigkeit ist, so müssen wir hier nolens volens auch eine Form von zunehmendem Analphabetismus feststellen, vielleicht auch deswegen, weil dem eigenen Verstand, den eigenen Sinnen weniger vertraut wird als der Maschine, aus der uns eine Stimme Ansagen zu unserem Verhalten gibt. Ihre Intelligenz ist künstlich, gebaut für Modellsituationen, Abweichungen davon (z.B. baustellenbedingte Wege auf Autobahnen) hat die vorprogrammierte Stimme nicht parat. Sie nimmt nicht wahr (bitte Wörtlichkeit beachten!) und sie denkt in Folge dieser Nicht-Wahrnehmung nicht, sie gibt nur Angelerntes wieder. Sie genießt aber Autorität. Eine gefährliche Verführbarkeit der Masse!
Da schreibe ich noch gar nicht von Motivlagen, die vor gar nicht allzu langen Jahren erhoben worden sind, wenn es von eifernden Lenkraddrehern und Gaspedaltretern für Mutproben in die falsche Richtung der Autobahnen und Schnellstraßen ging und dieser höchst suspekte Mut gemessen worden ist, in wie viel Zeit von Warnung bis zur Entwarnung man „Radio-Präsenz“ hatte: kranker Egoismus einer übermütigen Gesellschaft, die mit der eigenen Gesundheit und Sicherheit und der völlig unbekannter, unschuldiger (Zwangs)Beteiligter spielt!
Nicht zu selten sind Geisterfahrer aber auch jene, die Wege des Abkürzens für ihr eigenes Vorankommen suchen oder einen Irrtum (falsche Richtung gewählt!) mit einem sofortigen Umkehren zu reparieren versuchen und dabei ihre eigenen Interessen so hoch ansetzen, dass sie meinen, alle anderen ordnen sich diesen sofort unter. Dieser Irrtum kann lebensgefährlich sein, nicht nur für die Egoisten, auch für jene, auf die richtig liegend und handelnd Gegnerschaft zurast.
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