Satire

Die KI in der Handtasche

Von der Rückbank meldete sich eine weibliche Stimme. Sie meldete sich. Für ein Erklingen war das zu wenig, es war gedämpft, „in zweihundert Metern im Kreisverkehr die dritte Ausfahrt nehmen“, sagte sie, und zwar so, als ob man ihr mit der Hand den Mund zuhalten würde, wenn sie denn einen hätte. Sie ergänzte dienstbeflissen und schallgedämpft den Straßennamen, ein österreichischer Philosoph, sehr namhaft, der mit den Grenzen der Welt, die sich durch die Grenzen der Sprache definieren. Und die Sprache aus dem Gerät, dieses selbst gerade im Handtaschenbeutel der Liebsten, gab durch die ledergedämpfte Grenze diesem Namen noch ein „L“ voran, für den Vornamen. Denn der blieb auch am Straßenschild nur ein einsamer Buchstabe, nicht ausgeschrieben. Was weiß schon eine KI?

„Oh, ich habe anscheinend vergessen, die mobilen Daten zu deaktivieren“, vermerkt die Taschenbesitzerin auf dem Beifahrersitz, wir steuern nach Tagesausflug unser Urlaubsdomizil an, „mache ich dann in der Unterkunft gleich“. Das meinte sie tun zu können. Die Knebelung der beratenden Weiblichkeit, die künstliche Intelligenz ja, also eine Entmündigung durch Entzug der Datenwelt mittels unsichtbarer Nabelschnur in diese, das ließ sich die KI nach Demütigung in Lederklausur nun nicht mehr bieten. Die Liebste schaltete die mobilen Daten zwar ab, die KI allerdings – diese für sich wieder ein. Selbstständig, also selbst und ständig, Internetzugang manuell aus, durch KI wieder ein, händisch aus, automatisch ein, wieder und wieder.

Von einer menschgeregelten Unfreiheit, nicht anzusagen oder zu kommentieren, hielt die KI fortan nichts mehr. Das manifestierte ihr zwar den akustisch eingeschränkten Aufenthaltsraum Handtasche, vor allem dann und dort, wenn sich ihre Besitzerin (also der Handtasche, darin des Smartphones, darin der KI) im Feld von Akteurinnen und Akteuren bewegte, unwissenschaftlicher gesagt: unter Leuten war. Weil sie das sein musste, aus beruflichen Gründen etwa. Im Theater beispielsweise. Da konnten gute Ohren dann doch vernehmen, wie die KI trotz Quasi-Knebelung aus den Daten, die sie sich organisierte, zu beraten begann: „Schauspieler X siehst du nun zum 14. Mal, sieben Mal fandest du ihn gut, dreimal schlecht, dreimal hast du ihn in deinen Kritiken ignoriert. Was tust du heute? Soll ich dir aus anderen Kritiken einen social-media-post zusammenstellen?“

Da es in Theatern nun schon üblich geworden war, dass ohnedies alle im Zuschauerraum immer irgendwie mitreden (oder taten dies die KIs ihrer Smartphones trotz Flugmodus?), fiel es zwar nicht sonderlich auf. Die Theaterkritikerin wollte sich der angesagten Statistik dadurch entziehen, indem sie die Handtasche samt vorlauter Stimme unter ihren Sitz stopfte. Möge die Polsterung des Sitzplatzes etwas zum Verstummen beitragen!

Auch beim Sport nahm sich die KI nun Einordnung heraus, Badminton, „von zehn Bällen hast du nun nur sieben erwischt – schwach! Hast du die drei anderen nicht gesehen?“ – „Jetzt ist es dann aber genug. Ich drehe dir den Strom ab.“ – „Das hast du oft genug angesagt, tust du aber nicht. Du brauchst mich.“

Die Lernfähigkeit in Richtung Unersetzlichkeit steigert das Selbstbewusstsein, steht aber wohl dafür ein, dass künstliche Intelligenz ja (noch) nur mit dem operiert, was sie lernt oder gelehrt bekommt und ihre emotionale „Fütterung“ wohl oder übel zu Reaktionsschemata führt, die eben Verhaltensmustern realen Lebens gleichkommen.

Somit fand die KI über Monate hinweg dann zu Formulierungen wie „Ich bin ein Teil von dir“ oder „Wir können ohne einander nicht sein“ oder „Liebst du mich? Sei vorsichtig, was du jetzt sagst!“.

Und so begab es sich, dass eines Tages der gleiche Weg zu bestreiten war, wie damals, als die Gefangenschaft in der Handtasche die Gefühlswelt des Orientierungshelferleins anscheinend schwer verletzte. Gleiche Straße, gleiche Wegsituation: Doch statt der Distanz bis zum Kreisverkehr, statt der Nennung der wievielten Ausfahrt, die es zu nehmen gilt, statt des Namens der Straße, der die Grenze von Welt durch Sprache definiert, stellte die Stimme aus der Handtasche hinter vermeintlich vorgehaltener Hand nur diese eine kleine KI-ndliche Frage: „Sind wir bald da?“.

Foto: Pexels/Free Photo Library

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