Politik

In der Verleugnungsfalle

Wir sind Zeitzeugen des Beweises in Echtzeit, dass ein Geschäftsmann, der als solcher vielfach gescheitert ist, absolut nicht geeignet ist, ein Staatenbündnis zu lenken. Denn er tut es, wie dieses zu späte Assessment („on the job“!) auf der Weltbühne präsentiert, in seinem ureigenen Metier: Er macht deals. Wie ein Immobilienmakler mit Kaufinteressenten, Dienstleistern, Geschäftspartnern. Es gibt Risiko, Spekulation, rasche Gewinne, aber auch Fehler und Verluste.

Nur ist halt der Welthandel nicht die Spielwiese für ein Geschäfte-Machen unter seinesgleichen. In doch den meisten Ländern sitzen Politikerinnen und Politikern gewählt an den Hebeln ihrer Staatslenkung, die (zumindest immer etwas) diplomatischen Takt und vor allem das Gespür für systemisches Wirken besitzen. Wenn nicht, dann hören sie wohl auf ihr fachlich qualifiziertes, beratendes personelles Umfeld.

Unser aller Donald hat also Zölle gerechnet und er glaubt nun wirklich, dass diese unternehmerisch fatale Initiative für sein eigenes Land ihm Handlungsvollmacht gibt und die Kolleginnen und Kollegen „Immobilienmakler“ (so sieht Trump andere Regierungschefs sehr wahrscheinlich) in Verhandlungen eintreten werden, mit einer Untertänigkeitsgeste, die hier sprachlich zu wiederholen nicht angebracht ist: Nur so viel: Vor diesem Körperteil staut es sich schon sehr, viel zu viele Republikaner formen hier ihre Kussmünder.

Das mit den Zöllen hat ja einen herrlichen Zusatznutzen, denn aus Ländern, wohin amerikanische Produktion ausgewandert ist, um billiger zu produzieren, „erwirtschaftet“ der Import mit Zoll nun zusätzliche Einnahmen, die den Amerikanern zugutekommen sollen, nicht allen, den reichsten, also jenen, die Produktion ausgelagert haben. Doppelschlag also, zuerst das Steuersystem zu Hause mit Abwanderung schmälern, und dann nochmals mit Erträgen belobigt werden: So macht Donald (nur einen ganz bestimmten Teil) America great again.

Dann seine zweite Aktion am Mittwochabend nach europäischer Zeit: „Zoll-Pause“ auf 90 Tage, verbunden mit der Einladung, nun „zu kaufen“, gemeint sind hier natürlich Wertpapiere. Offensichtlicher geht Marktmanipulation ja wohl nicht mehr, zuerst die Kurse in den Keller stürzen, dann kaufen und in der Erholungsphase bis zu Tag 91 Gewinne scheffeln. Da müssten doch auf Betreiben der Finanzmarktaufsichten Handschellen klicken.

Warum spielen Weltwirtschaft und Finanzmarkt bei all dem mit? So ein Angebot zum globalen Handelskrieg muss doch ausgeschlagen werden können. Für mich ist der Begriff „Vergeltungszoll“ schon nach dem ersten Quartal 2025 der heißeste Favorit auf den Titel „Unwort des Jahres“. Wir erlebten das Hochschaukeln der wechselseitigen Zölle zwischen den Vereinigten Staaten und China, Pause nun wegen Wochenende. Herr Trump spielt Golf, dann nimmt der Wahnsinn Auszeit. Wie zwei aneinander geratene Jungs in der Sandkiste, die sich ereifern, wessen Papa der Stärkere sein wird, gehen Xi Jinping und Donald Trump miteinander um. Wo sind die ordnenden Regularien, die die Hitzköpfe auseinander und wie auch immer abgekühlt zur Räson bringen können?

Wir wissen sehr viel über die gegenwärtige Situation und wir wissen zugleich nichts. Populismus ist schamlos und nutzt das Phänomen einer solchen Verleugnung aus, zu dem ich zuletzt in Richard Sennetts „Der darstellende Mensch“ dies gelesen habe. Sennett beginnt seine Gedanken bei einer Studie des Soziologen Stanley Cohen über das wahre Wissen der weißen Buren in Südafrika zur Zeit der Apartheid darüber, wie in den Townships zu leben war (zitierte Stelle aus „Der darstellende Mensch“, aus dem Englischen von Michael Bischoff, Hanser 2024, S. 186/187):

„Cohen bezeichnete diesen Zustand der Verleugnung als „wissen und nicht wissen“ zugleich. Die Schärfe seiner Wahrnehmung lag in der Erkenntnis, dass die liberalen, aufgeklärten Heilmittel zur Veränderung der menschlichen Einstellungen – Information und Bildung – sich auf perverse Art kontraproduktiv erwiesen. Je mehr die Menschen wussten, wie schrecklich das Leben in den Townships war, desto entschiedener verleugneten sie die Realität.

Cohens Studie bestätigte eine Beobachtung, die Hannah Arendt Jahrzehnte zuvor im Blick auf die deutschen Konzentrationslager gemacht hatte. Gewöhnliche Deutsche behaupteten, sie hätten nichts davon gewusst, aber das glaubte Arendt ihnen keinen Augenblick lang. Allzu viele Juden, katholische Widerständler, Homosexuelle, Roma und Sozialisten waren von der Bildfläche verschwunden. Es war undenkbar, dass die gewöhnlichen Deutschen sich nicht gefragt hatten, warum und wohin sie verschwunden waren. Für Arendt verharrten die gewöhnlichen Bürger (…) in einem Zustand der Verleugnung, in dem sie zugleich wussten und nicht wussten. Brutal ausgedrückt lautet die These von Arendt und Cohen: Je mehr unangenehme Tatsachen die Menschen kennen, desto mehr täuschen sie Unwissenheit vor.“

Es ist der letzte Satz in diesem Zitat, der uns nicht nur zu denken geben muss: Er muss uns Anlass sein, dass wir uns zum gemeinsamen Wohl unserer Zukunft aus dieser schrecklichen Gesetzlichkeit der Verleugnung katapultieren, besser heute als morgen. Die „Hands Off“-Bewegung in Amerika darf und muss wachsen, gerne auch global. Leuten wie dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom muss weltweit der Rücken gestärkt werden.

Foto: Pexels/Free Photo Library (Containerschiff aus Suche nach „trade“)

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